Die Organistin Shihono Higa probt den Hamlet. Foto: Kathrin Wesely

In der Stuttgarter Markuskirche wird am 21. Januar der Stummfilmklassiker „Hamlet“ mit Asta Nielsen gezeigt und von Shihono Higa an der Orgel begleitet.

S-Süd - Selten ist wohl ein Film mit soviel Spannung erwartet worden, wie der Hamlet-Film der Asta Nielsen. Monatelang beschäftigten sich Fach- und Tagespresse damit“, schrieb ein Kritiker im Jahr 1921. Der erste Grund für die Aufregung war, dass der ehrwürdige Shakespeare-Stoff von der Bühne und vor eine Kamera gezerrt wurde. Das junge Medium Film ging seinerzeit nur bedingt als Kunstform durch. Der zweite Grund: Hamlet ist im Film eine Frau. Und der dritte Grund war, dass diese Frau von der ersten Filmdiva des europäischen Kinos, Asta Nielsen, gespielt wurde.

Nielsen selbst hatte die Idee zum Hamlet-Film; und nachdem sie 1920 ihre eigene Produktionsfirma Art-Film gegründet hatte, sah sie sich in der Lage, den Stoff gemäß ihren künstlerischen Vorstellungen filmisch umzusetzen. All die Debatten im Vorfeld waren die beste Werbung, die Nielsen kriegen konnte. Der Film wurde der große Kassenerfolg des Jahres 1921. Und auch die Markusgemeinde kann sich sicher sein, dass bei der Vorführung des Stummfilms am 21. Januar die Bankreihen voll besetzt sein werden.

Kongeniale Kompositionen

Seit nunmehr 14 Jahren veranstaltet die Gemeinde das Orgelkino. Gezeigt wurden beispielsweise Wilhelm Murnaus „Nosferatu“ (1922), Buster Keatons „The General“ (1926), Lotte Reiniger „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ (1926), Fritz Langs „Der müde Tod“ (1921) und seine „Dr. Mabuse“-Filme (1922 und 1932). Zuständig für Organisation und Filmauswahl ist Jutta Schöllhammer, die Wert legt auf eine stilechte Vorführung: „Wir zeigen den Film auf 35-Millimeter-Spulen. Das Brummen des Projektors gehört einfach dazu. Das ist viel authentischer als eine Projektion mit dem Videobeamer.“ Den Spulenwechsel zur Halbzeit nutzen die Veranstalter für eine kurzweilige Pause mit Snacks und Getränken in der Kirche.

Der eigentliche Star des Abends sind allerdings weder die Projektionsmaschine noch Asta Nielsen, sondern Shihono Higa, die man zwar nicht sehen, dafür umso besser hören wird. Die preisgekrönte Organistin an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart mit japanischen Wurzeln, die an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart studiert hat, wird das Filmdrama live an der Orgel begleiten. Die eigentliche Kunst dabei ist, zur Geschichte der Bilder eine eigene musikalische Erzählung hinzu zu dichten. Es gehe nicht darum, lediglich Filmbilder musikalisch zu untermalen und zu verstärken, erklärt die 29-Jährige. Das würde man in Musikerkreisen etwas despektierlich als „mickymousing“ bezeichnen. Gefragt ist vielmehr eine Art Kongenialität. „Man muss einen roten Faden entwickeln, Spannung aufbauen, entscheiden, wo man der filmischen Dramaturgie folgt und wo man ihr etwas entgegenstellt. Und dafür muss man den Film gut kennen“, erklärt Shihono Higa. Vom körperlichen Aufwand her gleicht das Spiel an der Orgel zu einem 130-minütigen Streifen wie diesem einem Marathon-Lauf. Die halbstündige Unterbrechung dabei mag den Zuschauern zum Verschnaufen dienen, für die Organistin ist sie eine Extra-Herausforderung: Wie über ein Glas Sekt, eine Butterbrezel und ein Schwätzchen hinweg den Spannungsbogen halten? Eine Menge fachkundiger Zuhörer von der Musikhochschule werden vorraussichtlich an diesem Abend mitverfolgen, wie Shihono Higa diese Aufgabe löst.

Cross-Dressing-Film aus den 20ern

Gespannt sein dürfen die Zuschauer auch auf Asta Nielsen, deren Rollenspiel im Licht der zeitgenösscher Gender-Debatten eine verblüffende Aktualität erlangt. Ihr Hamlet, riss die Kritiker 1921 zu Elogen hin, während die Nörgeleien über zu viele Texttafeln und eine wirre Handlung als Fußnoten in der Filmgeschichte verschwanden. So war etwa zu lesen: „Das ganze Spiel, das sich nun in fesselnden Bildern entrollt, heißt Asta Nielsen. Ihr schlanker, jungenhafter Körper im eng anliegenden schwarzen Wams, der melancholische Blick ihrer großen träumerischen Augen, eine ganz ursprüngliche kleine Gebärde zwischendurch: das alles wirkt zusammen, um ihrem Hamlet von Anfang an tiefes menschliches Interesse zu sichern.“ Aus heutiger Warte würde man von einem klassischen Cross-dressing-Film sprechen. Der Star Asta Nielsen ist darin in fast jeder Szene im Bild. Ihre androgyne Gestalt wandelt durch eine Welt geschlechtlicher und sexueller Uneindeutigkeit. Geschlecht ist hier nicht naturgegeben, sondern sozial konstruiert. Männliche und weibliche Attribute sind die Requisiten einer großen Makerade, in der die Geschlechtsidentitäten durcheinanderfließen. Wenn das mal nicht Gesprächsstoff liefert für die Pause.

Die Vorführung des „Hamlet“-Films in der Markuskirche, Filderstraße 22, beginnt am Sonntag, 21. Januar, um 18 Uhr. Der Eintritt ist frei, die Besucher werden jedoch um Spenden gebeten.