Georg Büchner schilderte 1836 das Elend eines Soldaten. Das Studiotheater hat das harte Drama „Woyzeck“ an heutige Bedingungen angepasst.
Menschen hatten schon immer die Angewohnheit, sich gegenseitig extrem Böses anzutun. Während man früher die Grausamkeiten als gegeben hinnahm und später manche versuchten, die Verhältnisse zu bessern, gibt man heute hilflos Triggerwarnungen aus. So auch bei der Studiotheater-Premiere von Georg Büchners berühmtem Elendsdrama „Woyzeck“ am vergangenen Freitagabend.
„Femizid, Wahnvorstellungen, stroboskopische Effekte, Gewalt, Diskriminierung, sexuelle Inhalte, Blut, Alkohol, Schimpfwörter“, warnen projizierte Schriftzüge zu Beginn auf dem Bühnenaushang.
Wer vom „Woyzeck“ zuvor noch nie etwas gehört hat, weiß zumindest jetzt, dass das um 1836 geschriebene Stück über einen von bitterer Armut, Ausbeutung und Schikane zermürbten Soldaten dem Zuschauer einiges zumutet.
Warnungen für die Zuschauer
In Christoph Küsters Inszenierung haust Woyzeck (Lukas Ullrich) mit seinem Kameraden Andres (Sebastian Schäfer) und seiner Geliebten Marie (Paulina Pawlik) zwischen schmutzig-weiß getünchten Wänden, an denen ein Stuhl, ein paar Habseligkeiten in Netzen und ein paar dünne Matratzen aufgehängt sind. Klappen dienen als Fenster, ermöglichen aber auch Übergriffe von außen, etwa, wenn Woyzeck von gesichtslosen Medizinstudenten im Rahmen absurder medizinischer Experimente des Doktors (Schirin Brendel) befingert wird.
Eine mobile Kamera eröffnet ungewöhnliche Perspektiven. Wenn Marie den Apparat auf einem Kissen in ihren Armen wiegt oder einen Löffel Brei vor die Linse hält, spiegelt diese die Sicht des einjährigen, unehelichen Kindes von Marie und Woyzeck wider – als Projektion auf der Bühnenrückwand.
Gelungen ist der kompakte, multifunktionale Aufbau von Maria Martínez Peña und Christoph Küsters Konzept, die Kamera als stumme Beobachterin in die Handlung zu integrieren. Die Anlage der Figuren des Doktors sowie des Hauptmanns (Karlheinz Schmitt) funktionieren dagegen nur bedingt.
Schirin Brendel spielt den sadistischen Mediziner als Vamp mit tiefem Dekolleté im Weißkittel, als weiblichen „Mad Professor“ wie aus einem Gruselfilm mit weißer Strähne im Haar und schrill-irrem Lachen.
Entschärftes und abgemildertes Spiel
So absurd die Erbsbrei-Versuche von Büchners Doktor auch erscheinen; sie sind Instrumente einer menschenverachtenden, auf Objektivität versessenen Medizin, die das Individuum zur Biomasse degradiert. Schirin Brendels erotisch lüsterner, halb wahnsinniger Arzt wirkt da vergleichsweise harmlos, weil man ihn viel weniger als Vertreter einer kalt rationalen, übermächtigen Wissenschaft wahrnimmt, der Proletarier zu Büchners Zeit hilflos ausgeliefert waren. Auch der Hauptmann wird in Karlheinz Schmitts zwar witzigem, aber auch entschärftem Spiel seiner gefährlichen Macht beraubt. Hier ist er ein kauziger Pensionär mit heiserer Greisenstimme, dem Woyzeck die Stützstrümpfe überstreifen muss. Das grausame Triezen und Quälen kommt dabei zu kurz. Trotzdem: Wenn man sich auf Büchners brillante, überzeitlich gültige Darstellung einer empathielosen, zynischen Gesellschaft bewusst einlässt, trifft sie noch immer. Ob mit oder ohne Triggerwarnung.
„Woyzeck“: Weitere Vorstellungen am 25. - 27.1., 1., 2., 4.2., 8.-10.2., 15.2. , 1.-4.3.
Weitere Infos: unter www.studiotheater.de