In Japan kochen sie auch nur mit Suppe – doch verblüffend ist, was für eine aromatische Wucht in dem Trend aus Asien steckt. In der Zirbelstube ist das Pop-up-Restaurant mit Ramen de luxe stets ausgebucht – und wird zum Fest der Genüsse.
Ein roter Eimer hängt am Balken in dem mit Zirbelholz vertäfelten Gastraum, der von 2004 bis 2022 im Glanz eines Michelin-Sterns erstrahlte. Seit drei Jahren sind in der früheren Zirbelstube keine Gerichte mehr kredenzt worden. Denn das Hotel am Schlossgarten, in dem sich das Gourmet-Restaurant befand, ist geschlossen und wartet auf den ganz großen Umbau.
Nein, es regnet nicht rein, weshalb ein Eimer aufgehängt werden müsste für drei Pop-up-Tage mit Berliner Starköchen. Der rote Eimer ist vielmehr das Symbol und der Glücksbringer von Christopher Selig. Während Corona, als man sich nicht nähern durfte, hat der Ramen-Koch seine japanischen Nudelsuppen im Eimer vom zweiten Stock seiner Wohnung nach unten auf die Straße abgeseilt, wo sich die Kunden auf vollwertige und geschmackvolle Kost freuten. Dank Instagram und Co. wurde der rote Eimer zum Medienphänomen – und darf deshalb zum Ausflug der eigenwillig kochenden Hauptstadt-Helden nach Stuttgart mit.
Sämtliche Termine waren nach wenigen Tagen ausgebucht
Für drei Tage (noch bis Sonntag) haben sich Stephan Hentschel, einer der bekanntesten vegetarischen Köche der Republik, der fleischlos zum Michelin-Stern emporschwebte, und Christoper Selig, der Japan-Fan mit dem roten Eimer, samt dem Team von Food Technique Berlin in der früheren Zirbelstube eingenistet. Und die Berliner können es kaum fassen, dass alle Termine (etwa 180 pro Tag) nach kurzer Zeit ausgebucht waren. Man sieht dem gesamten Team an, wie alle Spaß daran haben, für fantastische Geschmacksnoten zu sorgen.
Das ehemalige Sternerestaurant im Schlossgartenhotel wird heute von den Machern der Pop-up-Bar Studio Amore genutzt. Max Benzing, einer der Betreiber, war einst nicht nur Koch-Azubi in der Zirbelstube, sondern war später obendrein Restaurantleiter bei Hentschel in dessen vegetarischem Sterne-Domizil Cookies Cream in Berlin. Die beiden sind Best Buddys und haben den Plan gemeinsam ausgeheckt, Ramen und noch mehr an einem langen Pop-up-Weekend in Stuttgart anzubieten. Die Idee geht auf: Die Gäste, die jeweils 75 Minuten an den Tischen bleiben dürfen, bevor die nächsten Suppenfans zum Schlürfen nachrücken, sind begeistert.
Warum die Nachfrage so groß ist? Liegt es am immer noch stark boomenden Ramen-Trend? Oder daran, dass Stephan Hentschel als früherer Fernsehkoch der inzwischen eingestellten SWR-Sendung „ARD Büfett“ so bekannt ist? Am Freitagvormittag besucht der 43-jährige Blondschopf das Funkhaus zum Talk „SWR 1 Leute“. Dort verrät er unter anderem, dass er als vegetarischer Koch hin und wieder Fleisch isst, Pommes mit Mayo besonders liebt und dass der Mensch besser riecht, wenn er sich vegetarisch ernährt.
Kaum ist die Radiosendung vorbei, eilt er in die Zirbelstube, wo die ersten Pop-up-Gäste schon am Mittag kommen. Ist alles nicht so leicht für den gut riechenden Koch. Denn die Wasserleitungen funktionieren im ersten Stock des Hotels nicht mehr. Wasser muss in Kanistern über die Treppe hochgeschleppt werden – auch der Aufzug ist defekt. Die Reparaturen lohnen nicht mehr, da die Sanierung bevorsteht.
„Die wichtigste Zutat ist Zeit“
Was gehört in die Ramen-Suppenteller? „Die wichtigste Zutat ist Zeit“, sagt Christopher Selig. Für die Brühe in zwei verschiedenen Variationen sowie für alle weiteren Vorbereitungen hat er gut acht Stunden gebraucht. Je länger alles köchelt, desto besser schmeckt’s. Die Basis seiner Brühe sind Pilze und Knollensellerie. Und noch viel mehr kommt rein: selbst gemachten Nudeln, Soja-Würze, geröstete Austernpilze, in Öl eingelegter Kohlrabi, Rauke, Frühlingszwiebeln und Überraschendes mehr.
Drei weitere Gänge werden an drei Pop-up-Tagen serviert, vor allem das Onsen-Ei mit Algenkaviar kommt bei den Gästen an. Was ein Onsen-Ei ist? Anders als üblich gekochte Eier werden diese etwa eine Stunde bei Temperaturen zwischen 62 und 69 Grad erwärmt, wobei eine gleichmäßig wachsweiche Konsistenz entsteht. Zum Nachtisch gibt es Matcha Affogato. Das Abendmenü kostet 59 Euro, das Mittagsmenü (ein Gang weniger) liegt bei 39 Euro. Stephan Hentschel springt von Tisch zu Tisch, erklärt mit Freude, was sich in den Gläsern und Tellern befindet und ist happy über die Stimmung. Die gute Laune isst mit.
Bei der After-Ramen-Party legt auch der Koch auf
Das letzte Seating ist für 20.30 Uhr anberaumt. Die Gäste warten auf der Treppe, bis die Tische frei werden. Nach dem Essen sind die Pop-up-Freuden noch lange nicht vorbei. Stephan Hentschel wechselt von den Töpfen an das DJ-Pult des Studios Amore, wo er mit DJ Floppy Disk gemeinsam auflegt. Man sieht ihm an, wie er Stuttgart und vor allem die Menschen zu lieben beginnt. Der Beschluss ist schnell gefasst: Im März kehrt das Berliner Team mit einer weiteren Pop-up-Ramen-Runde zurück. Der rote Eimer darf bestimmt mit.