Stärke durch Größe: Der Technologiekonzern Bosch ist ein Autozulieferer und produziert Sensoren (im Bild), stellt aber auch Gebrauchsgüter sowie Industrietechnik her. Foto: dpa

Eine neue Studie rückt das schlechte Image der Mischkonzerne zurecht. Breit aufgestellte Unternehmen seien nicht das Auslaufmodell, das Investoren, Vermögensverwalter oder Analysten in ihnen sehen, stellen Forscher der Universität Duisburg fest.

Stuttgart - Siemens, Thyssen-Krupp oder Bayer haben eines gemeinsam: Sie streben weg vom Gemischtwarenladen, um sich auf ihre Kerngeschäfte zu fokussieren. So werden Geschäftsbereiche ausgegliedert und Tochtergesellschaften an die Börse gebracht. Vor allem aggressive Investoren sind Ursache dafür, dass immer mehr schwere Tanker zerlegt werden, um einen beweglichen Flottenverbund zu schaffen. Hinzu kommt der digitale Wandel mit seinen neuen Organisationsformen.

Beide Faktoren beschleunigen den Imageverlust von Mischkonzernen, die in mehr als einer Branche tätig sind. Denn diese werden mittlerweile als zu komplex, träge und intransparent sowie als wenig innovativ wahrgenommen – und sie werfen aus Sicht der Konzernzerleger weniger Rendite ab sogenannte fokussierte Unternehmen, weshalb sie an der Börse schlechter bewertet werden.

„Strategie von Mischkonzernen kann wirtschaftlich erfolgreich sein“

Eine neue Studie des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (IMU) der Hans-Böckler-Stiftung und der Universität Duisburg-Essen – die unserer Zeitung exklusiv vorliegt – hinterfragt das schlechte Image der Mischkonzerne. Demnach ist die generelle Skepsis von Finanzinvestoren, Hedgefonds, Vermögensverwaltern und Analysten unberechtigt. Denn verfolgen Unternehmen eine Diversifikationsstrategie, wächst mit der Anzahl der Geschäftsbereiche auch das Betriebsergebnis (Ebit) und die Marktkapitalisierung, haben die Forscher festgestellt. Beschränken sich Firmen aber aufs Kerngeschäft, büßen sie im Mittel an Gewinn und Börsenwert ein. „Die Strategie von Mischkonzernen kann wirtschaftlich sehr erfolgreich sein“, resümieren die Studienautoren Sebastian Campagna und Marc Eulerich. Unternehmen, die auf verschiedenen Feldern aktiv seien, reduzierten ihre Abhängigkeit von einer Branchenkonjunktur und vergrößerten im besten Fall ihre Chance, auf Zukunftsmärkten vorne mitzuspielen. Als Leuchtturm dient Deutschlands führender Mischkonzern Siemens, der derzeit lediglich mit seiner Kraftwerkssparte Probleme hat und sonst gut dasteht.

Daten von mehr als 400 Unternehmen ausgewertet

Als Beleg führen die Ökonomen aber auch die amerikanischen Digitalriesen an: Alphabet, Amazon & Co. entwickelten sich selbst zu Mischkonzernen, die Sparten wie Gesundheit, autonomes Fahren oder Versicherungen integrierten und dabei über ihr ursprüngliches Geschäftsmodell hinausgingen. „Alphabet und Amazon schaffen es, breit aufgestellt zu sein und dadurch unglaubliche Wettbewerbsvorteile zu haben, weil die einzelnen Bereiche miteinander abgestimmt sind“, sagt Marc Eulerich von der Mercator School of Management der Uni Duisburg.

Zuvor hatte er umfangreiche Geschäftsdaten von 403 Unternehmen ausgewertet, die zwischen 2009 und 2016 durchgängig im umfassendsten deutschen Börsenindex C-Dax notiert waren – unter ihnen sowohl fokussierte Unternehmen mit einem einzigen Geschäftsbereich als auch diversifizierte Mischkonzerne mit vielen Bereichen. Im Durchschnitt stellte er einen Vorteil von Diversifikationen fest: Pro zusätzlichem Geschäftsbereich erzielten Unternehmen fünf Prozent mehr operativen Gewinn, während die Marktkapitalisierung um sieben Prozent wuchs. Ein breiteres Geschäftsportfolio hat nicht zwangsläufig einen Negativeffekt auf das Ergebnis.

Folglich bezweifeln die Forscher, „dass der aktuelle Mainstream in der Unternehmensführung eine solide Basis hat, wenn generell fokussierte Unternehmen favorisiert und Mischkonzerne grundsätzlich als Auslaufmodelle betrachtet werden“. Besonders die Aufspaltung solcher Unternehmen sei kritisch zu bewerten. Hier müsse stets genau geprüft werden, inwieweit der Wert des Mischkonzerns höher oder niedriger sei als der Wert seiner Bestandteile.

„Wildwuchs“ kann Mischkonzerne ruinieren

Aufgrund der neuen Befunde könne man „aus betriebswirtschaftlichen Gründen ruhig für eine Diversifikationsstrategie plädieren“, urteilen die Forscher. Gemeint sei aber nicht ungebremste Expansion – „Wildwuchs“ von Geschäftsbereichen könne Mischkonzerne ruinieren. Vielmehr sollten sich auch diese Unternehmen auf jene Felder konzentrieren, in denen nachhaltig Perspektiven erkennbar sind und für die unterschiedliche Renditegrößen akzeptiert werden. Sei das gegeben, könne man das angebliche Auslaufmodell durchaus als Zukunftsmodell im Hinblick auf die Digitalisierung der Wirtschaft betrachten: „Das unternehmerische Risiko wird mittels kluger Diversifizierung entsprechend gestreut.“ Die deutschen Fahrzeughersteller etwa versuchen mit ihren Financial Services für eine Zeit vorzusorgen, in der sie nicht mehr so viele Autos absetzen können.

Douglas-Holding als Gemischtwarenladen gescheitert

Als beispielgebend für einen Technologiekonzern, der in vielen Bereichen aktiv ist, nennt Marc Eulerich auch Bosch. „Aufgrund der Stiftungskonstruktion – also bei einem Anteilseigner mit längerfristiger Perspektive – hält sich Bosch für erfolgreich genug, solange man die Stiftung zufriedenstellt“, sagt der Wissenschaftler. Deswegen könnten die Stuttgarter Konzernlenker auch mehr in Diversifikation und neue Entwicklungen investieren.

Gar nicht funktioniert hat das Mischmodell bei der Douglas-Holding, die neben der Parfümerie den Buchhandel, das Juweliergeschäft oder Mode im Luxussegment vereinte. „Da war die Abstimmung nicht so gut, so dass das Unternehmen komplett zerschlagen wurde“, erinnert Eulerich an ein eher unrühmliches Beispiel.