Immer mehr deutsche Fans verlieren die Lust am Profifußball. Foto: dpa

Eine neue Studie belegt, dass die deutschen Proficlubs dabei sind, die Kommerzschraube zu überdrehen. Wenn es so weitergeht, dann will sich die Mehrheit der Fans vom Fußball abwenden.

Stuttgart - Der Abstieg seines Lieblingsclubs stand kurz bevor, als Claus Vogt ein weiteres Mal erkennen musste, dass auf Fans keine Rücksicht mehr genommen wird. Auf einen Montagabend legte der Ligaverband DFL im Mai 2016 das Auswärtsspiel des VfB Stuttgart im fernen Bremen – und verhinderte damit, dass Vogt wie viele andere VfB-Anhänger die Mannschaft in dieser wichtigen Partie begleiten konnte. 2:6, so lautete das deprimierende Ergebnis aus Stuttgarter Sicht, was die Laune noch schlechter machte.

Beim Jammern wollte es der Unternehmer aus Böblingen nicht belassen – stattdessen begann Vogt, sich konstruktiv mit der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs und der Entfremdung von der Basis auseinanderzusetzen. Mit einigen Mitstreitern, darunter der frühere VfB-Torwart Thomas Ernst und der Sport-Okönom André Bühler von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen, gründete er die übervereinliche Initiative „FC Play Fair!“, deren Ziel es ist, die Interessen der Fans zu stärken.

Das bislang größte Forschungsprojekt zu diesem Thema

Gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Sportmarketing hat der Verein nun die „Situationsanalyse Profifußball 2017“ vorgelegt, eine Studie, an der 17 330 Fans aller Clubs der ersten und zweiten Liga teilgenommen haben. André Bühler spricht vom „bislang größten Forschungsprojekt zu diesem Thema“, das alarmierende Ergebnisse für die Vereine hervorgebracht hat: „Wir haben empirisch bewiesen, was viele Fans schon länger als diffuses Meinungsbild haben: dass die Schraube im Profifußball völlig überdreht wird.“

Die Studie fällt in eine Zeit, in der sich die Warnungen mehren. Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff („Irgendwann knallt es mal“) ist nicht der Einzige, der sich angesichts des völlig entfesselten Turbokapitalismus mit Fantasieablösesummen, absurden Gehältern und aufgeblähten Wettbewerben Sorgen macht. Zu Recht: Als größtes Problem des deutschen Fußballs identifiziert die Studie das primäre Streben nach immer noch mehr Geld.

„Der Fußball steht vor einer Zeitenwende“

Mehr als drei Viertel der befragten Fans (78,4 Prozent) haben den Eindruck, dass den Funktionären die Geldvermehrung wichtiger ist als das Spiel an sich; 86,9 Prozent sind der Meinung, im Fußball gehe es nur noch ums Geld. Acht von zehn Anhänger (83,3 Prozent) sind der Meinung, der Profifußball müsse aufpassen, dass er sich nicht noch mehr vom Fan entfernt. Und mehr als jeder Zweite (51,4 Prozent) gab an, sich früher oder später vom Fußball abzuwenden, sollte sich die Kommerzialisierung so weiterentwickeln.

„Daran sieht man: Der Fußball steht vor einer Zeitenwende“, sagt Bühler. „So wie es jetzt läuft, macht es den Fans immer weniger Spaß. Das muss ein Warnsignal für alle Vereine und deren Funktionäre sein.“ Der Wissenschaftler verweist darauf, dass nicht die Stimmen weltfremder Fußball-Romantiker zu diesen Ergebnissen geführt haben, sondern „ein sehr differenziertes Meinungsbild“. Immerhin zwei Drittel der Befragten gaben an, dass die Vermarktung notwendig sei. Und mehr als die Hälfte vertritt die Meinung, dass sich Ultras zu wichtig nehmen.

Widerstand gegen das finanzielle Wettrüsten im europäischen Fußball

Ein Patentrezept, wie die Entwicklung aufzuhalten ist, haben aber auch Bühler und Vogt nicht in der Schublade. Auf die Möglichkeit einer Gehaltsobergrenze in der Bundesliga verweisen sie, für die sich sieben von zehn Befragten aussprechen. Jeder Zweite unterstützt zudem den Lösungsansatz: „Die Bundesliga sollte international ein Zeichen setzen, indem sie das finanzielle Wettrüsten im europäischen Profifußball nicht länger mitmacht.“

Den Initiatoren der Studie geht es vor allem um eines: „Wir wollen einen Denkanstoß liefern und mit den handelnden Personen in Dialog treten. Die Ergebnisse zeigen, dass eine breit angelegte Diskussion über die Zukunft des Profifußballs dringend nötig ist“, sagt André Bühler.

Er selbst ist mit gutem Beispiel vorangegangen: Am Dienstagabend empfing der Direktor des Deutschen Instituts für Sportmarketing den VfB-Präsidenten Wolfgang Dietrich an der Hochschule in Nürtingen. An Gesprächsstoff wird es nicht fehlen.