Bis zum Jahr 2030 müssten die bestehenden Ausbildungskapazitäten fast verdoppelt werden, um den Bedarf zu erfüllen. Foto: dpa/Uwe Anspach

Damit in Kitas kindgerechte Bedingungen herrschen, braucht es laut einer Studie viel mehr Erzieherinnen, als überhaupt in diesem Jahrzehnt ausgebildet werden können.

Gütersloh/Stuttgart - Die Nachfrage der Eltern ist groß, der Fachkräftemangel auch: Trotz eines deutlichen Personalausbaus in den Kitas wird es in Baden-Württemberg schwerfallen, ausreichend Erzieherinnen und Erzieher für die starke Nachfrage in der Kinderbetreuung einzustellen.

Bis zum Jahr 2030 müssten die bestehenden Ausbildungskapazitäten fast verdoppelt werden, um den Bedarf von Eltern zu erfüllen und Kitas auch weiter mit dem heutigen Personalschlüssel auszustatten. Das ist trotz vergleichsweise guter Zahlen nicht zu schaffen, wie Analysen deutlich machen, die die Bertelsmann-Stiftung am Dienstag in Gütersloh vorgelegt hat.

Laut erstmals veröffentlichtem „Fachkräfte-Radar für Kita und Grundschule“ werden in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2030 rund 36.000 Menschen in den Kita-Beruf eintreten. Das werde aber bei weitem nicht reichen, rechnet die Stiftung vor. Denn um in allen Kitas eine kindgerechte Personalausstattung nach wissenschaftlichen Empfehlungen sowie ausreichend Plätze zu sichern, werden mehr als 33.000 weitere Erzieherinnen und Erzieher benötigt, sind die Experten der Stiftung überzeugt. „Diese Lücke ist bis 2030 weder durch die Aufstockung der Ausbildungskapazitäten zu schließen, noch lassen sich bis dahin genügend Quereinsteiger gewinnen und pädagogisch qualifizieren“, heißt es in der Studie weiter.

Zahl der fehlenden Fachkräfte erhöht sich

Aber das ist nicht alles: Denn soll bis zum Ende dieses Jahrzehnts auch die Leitungsausstattung auf ein professionelles Niveau gehoben werden, erhöht sich die Zahl der fehlenden Fachkräfte sogar auf mehr als 41.000.

Die Nachfrage nach Kitas und Betreuungen wächst und wächst: Die Zahl der unter Dreijährigen in einer baden-württembergischen Kita oder Kindertagespflege hat sich laut Stiftung zwischen 2011 und 2020 von 57.000 auf etwas mehr als 98.500 Kinder deutlich erhöht. Dennoch geht aus dieser Altersgruppe nur etwa jedes dritte Kind (30 Prozent) in eine Kita. Diese sogenannte Teilhabequote ist in den ostdeutschen Bundesländern mit durchschnittlich 53 Prozent deutlich höher.

Im Osten muss eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft allerdings auch 5,5 Krippenkinder betreuen, in Baden-Württemberg kann sie sich drei Jungen und Mädchen widmen. „Von gleichwertigen Lebensverhältnissen in der frühkindlichen Bildung ist Deutschland also nach wie vor weit entfernt“, kritisiert die Bertelsmann Stiftung.

Ihre Prognosen zeigten aber auch, dass es durchaus möglich ist, das „doppelte Ost-West-Gefälle“ noch in diesem Jahrzehnt aufzulösen, sagt Kathrin Bock-Famulla, Bildungsexpertin der Bertelsmann Stiftung. „Dafür müssen die Ausbildungskapazitäten aufgestockt und genügend Quereinsteigerinnen und -einsteiger gewonnen sowie pädagogisch qualifiziert werden.“ Sie schätzt die Lücke unter diesen Voraussetzungen im Südwesten auf ungefähr 20.000 Personen.

Personal müsse gebunden werden

Das Land dürfe keine Zeit verlieren, sagt Bock-Famulla. Es müsse bereits jetzt mit dem Ausbau der Kita-Plätze und Ausbildungskapazitäten begonnen, zusätzliche Berufsschullehrer und -lehrerinnen müssten geworben werden. „Trotz sinkender Geburtenzahlen dürften keine Fachkräfte entlassen werden“, mahnt die Bildungsexpertin. Freiwerdende Stellen müssten dringend wieder besetzt, Personal gebunden werden.

Im Personalschlüssel sehen die Expertinnen die zentrale Stellschraube für Kita-Qualität: „Wenn Kinder in schlechten Betreuungssettings sind, weil zu wenig Personal da ist, dann gefährden wir ihre Entwicklung - etwa in sprachlicher, motorischer oder emotionaler Hinsicht“, sagt Annette Stein, die ebenfalls an der Studie mitgearbeitet hat. „Egal wie gut eine Fachkraft ausgebildet ist: wenn sie sich um zu viele Kinder kümmern muss, kann sie maximal eine Betreuung gewährleisten.“ Von frühkindlicher Bildung könne dann keine Rede mehr sein.

Die gute Nachricht: die Personalschlüssel von allen Gruppentypen sind in Baden-Württemberg besser als der westdeutsche Durchschnitt und können auch in einigen Belangen mit den Empfehlungen mithalten. Bei den Krippengruppen und fast auch bei den Gruppen mit unter Vierjährigen werden die wissenschaftlichen Empfehlungen erreicht, bei den Kindergartengruppen liegt Baden-Württemberg in der Quote sogar besser. Aufholen muss das Land aber beim Kindergarten ab zwei Jahren und in den altersübergreifenden Gruppen. Genau dort fehlt noch das Personal, um die wissenschaftlichen Empfehlungen für eine kindgerechte Qualität zu erfüllen.