Der Computer zieht allmählich auch in die Grundschulen ein. Foto: dpa

95 Prozent aller Jugendlichen haben ein Smartphone – aber für die Schule wird es kaum genutzt. Laut einer Studie haben viele Bundesländer bei der digitalen Bildung erheblichen Nachholbedarf – auch Baden-Württemberg.

Berlin - Wann der zwischen Bund und Ländern vereinbarte und mit fünf Milliarden Euro ausgestattete Digitalpakt für die Schulen in die Tat umgesetzt wird, das ist immer noch offen. Wie dringlich er gebraucht wird, dass beschreibt die am Donnerstag von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin vorgestellte Studie „Kompetenzen in der digitalen Welt“ von Birgit Eickelmann, einer Professorin für Schulpädagogik aus Paderborn.

Sie verweist auf den hohen Nachholbedarf Deutschlands auf diesem Feld im Vergleich zu Ländern wie Österreich, der Schweiz und Dänemark. Schon die sogenannte ICILS 2013-Studie habe auf erhebliche Rückstände in der Entwicklung des deutschen Schulsystems hingewiesen, wo fast ein Drittel der Achtklässler nicht mal über Grundkenntnisse im Umgang mit „neuen Technologien und digitalen Informationen“ verfüge. Entgegen vieler Klischees seien Jugendliche eben nicht „Digital Natives“, auch wenn heute 95 Prozent aller Zwölf- bis 19-Jährigen ein Smartphone besitzen. Besonders schwach ausgeprägt seien Fähigkeiten im Umgang mit dem Internet in sozial schwächeren Schichten, sagt Eickelmann – die Rede ist von einer digitalen Spaltung der Gesellschaft.

Einzelne Länder sind Vorreiter

Dabei bemühen sich einzelne Bundesländer seit langem mit Erfolg, die digitale Bildung bei sich zu fördern, schon bevor die Kultusministerkonferenz hierzu ein Strategiepapier erstellte. Fünf Ländern stellt die Forscherin als Vorreiter vor, außerdem sechs „Musterschulen“. Allerdings ist Baden-Württemberg nicht dabei und wird praktisch überhaupt nicht als „Vorreiter“ für irgendetwas auf diesem Feld erwähnt. Gelobt von der Wissenschaftlerin wird beispielsweise die Einführung einer Bildungscloud in Niedersachsen, die es Schülern und Lehrern erlaubt, mit den eigenen Endgeräten miteinander zu kommunzieren, Unterrichtsmaterialien auszutauschen und an gemeinsamen Projekten zu arbeiten. Erprobt wird diese Datenwolke an 25 Schulen, gelingt der Versuch, soll er landesweit eingeführt werden.

Erwähnt wird auch Rheinland-Pfalz, das 2003 noch die Rote Laterne in der Statistik über die Nutzung von neuen Medien durch Jugendliche getragen hat, aber inzwischen „große Fortschritte“beim Einsatz neuer Techniken an Schulen gemacht habe. Besonders der Ausbau der Medienkompetenz schon an Grundschulen hat die Autorin beeindruckt, ebenso wie der Einsatz der Lernplattform Moodle durch die Pfälzer, die in Baden-Württemberg immerhin für die Fortbildung von Lehrern genutzt wird. Eine Lernplattform wird als „großes virtuelles Klassenzimmer“ beschrieben, mit ihr soll es möglich sein, so die Autorin„Dateien abzulegen und gemeinsam zu nutzen, Wikis zu erstellen Aufgaben einzustellen und zu bearbeiten, mit einer Mail- und Chat-Funktion zu kommunizieren“. Arbeitspläne und Arbeitsmaterialien könnten in die Lernplattform eingestellt werden. Ein wichtiges Zukunftsszenario sei es, so Eickelmann, dass die Schüler mit der Lernplattform auch von zuhause aus arbeiten können.

Lernplattformen bieten Videos, Übungen und Musterlösungen an

„Digitale Bildung ist bisher längst nicht flächendeckend in den Schulen angekommen“, sagt die Forscherin. Der Bedarf an technischer Ausstattung sei noch „immens“. Eine Schlüsselrolle sieht sie auch in der Verwendung lizenzfreier und offen zugänglicher Informationsquellen, im Fachjargon heißt das „Open Educational Resources“ (OER). Dabei geht es um Arbeitsblätter, Lehrvideos, Podcasts, Fotos und Grafiken sowie aufbereitetes Unterrichtsmaterial. Das von Bund und Ländern betriebene Internetportal Deutscher Bildungsserver baut derzeit eine Informationsstelle zu den OER auf. Und einzelne Lernplattformen wie etwa „Serlo“ machen Schülern schon heute frei zugängliche Lernangebote, geben Erklärungen, zeigen Lernvideos und bieten Übungen und Musterlösungen an.

Immer noch Zukunftsmusik scheint der Einsatz von digitalen Schulbüchern zu sein. Dabei kann bereits aus über 500 Titeln aus 40 Fächern beziehungsweise beruflichen Fachrichtungen ausgewählt werden. Wenn die digitalen Bücher über die reine PDF-Version eines Druckwerks hinausgehen, sollten sie „interaktiv“ sein, sie sollten Videos und Animationen enthalten. In mehreren Ländern – auch Bayern – werden digitale Schulbücher erprobt.

Schließlich befürwortet die Bildungsforscherin die Einrichtung einer Cloud für alle Schulen, eine virtuelle Datenwolke als ausgelagerter Speicherplatz. „Während bisher Daten überwiegend lokal in den Schulen gespeichert werden, könnte eine Schul-Cloud als zentrale und webbasierte Lösung den Betriebsaufwand vermindern.“

Alles in allem plädiert Birgit Eickelmann an die Schulen, einfach mit der digitalen Bildung anzufangen und nicht länger zu warten: „Langwierige Diskussionen über Konzepte, wie Schulen mit moderner IT-Ausstattung ausgestattet werden, sind wenig hilfreich und verzögern die Sache nur.“ Engagierte Schulen seien „längst auf dem Weg“, etwa die Freiher-vom-Stein-Schule in Neumünster (Schleswig-Holstein), wo die Schüler ihre eigenen Geräte mitbringen oder auf Leihgeräte der Schule zurückgreifen können und wo bereits eine digitale Lernplattform eingerichtet worden ist, die die Schüler auch von zu Hause über das Internet erreichen können.