In einem modernen Autocockpit kann man natürlich schon mal den Durchblick verlieren. Foto: Colourbox

Insbesondere die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen lässt sich beim Autofahren gern ablenken. Allerdings nicht nur durchs Smartphone. Einsicht? Fehlanzeige.

Mit dem Smartphone beim Autofahren telefonieren war gestern. Heute wird getextet, am Touchscreen gespielt oder der Spurhalteassistent grob fahrlässig missbraucht. „Das ist fatal, Ablenkung darf nicht zum Gewohnheitsrecht werden“, sagt Lucie Bakker angesichts solcher Zustände auf Deutschlands Straßen. Sie ist Schadensvorständin bei der deutschen Allianz, die gerade Ablenkung im Straßenverkehr durch moderne Technik in einer Studie untersucht hat. Das Ergebnis: Ablenkungsrisiken haben im Vergleich zu einer Vorgängerstudie 2016 teils drastisch zugenommen und damit das Unfallrisiko. Was gleich bleibt, ist dagegen das weitgehende Schulterzucken, mit dem Sünder ihrem Tun begegnen. Vor allem 18- bis 24-Jährige sind besonders ablenkungsgefährdet.

Fast jeder Vierte liest und schreibt Nachrichten hinterm Steuer

Fast jeder Dritte in dieser Altersgruppe gibt an, während des Autofahrens mit dem Handy in der Hand zu telefonieren. Das sind doppelt so viele wie in der Gesamtheit aller Befragten. Es geht aber längst weiter. „Der Anteil an Autofahrerinnen und Autofahrern, die das Smartphone in die Hand nehmen und eine Textnachricht schreiben oder lesen, hat sich zwischen 2016 und 2022 von 15 auf 24 Prozent um fast zwei Drittel erhöht“, sagt Christoph Lauterwasser als Chef des Allianz Zentrums für Technik. In der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen gestehen das sogar vier von zehn Befragten. Gegenüber 2016 ist das ein Anstieg um den Faktor 2,5.

Mit solchem Verhalten einher geht ein drastisch steigendes Unfallrisiko. Bei vielen Technikablenkungen steigt es laut Studie um etwa die Hälfte. Besonders riskant ist das Bedienen des Autoradios per Bordcomputer. Hier nimmt das Unfallrisiko um 89 Prozent zu und verdoppelt sich damit beinahe. Wer den Spurhalteassistenten missbraucht, um für fahrfremde Aktivitäten die Hände vom Steuer zu nehmen, steigert das Unfallrisiko um 56 Prozent.

„Das Handy oder ein anderes elektronisches Gerät in der Hand wird immer mehr auch zum Spielen, Musikauswählen, Bilderanschauen oder Websurfen genutzt“, musste Lauterwasser erfahren. 2016 hatten derartiges Verhalten erst sechs Prozent bejaht. 2022 war es mehr als jeder Fünfte. Zugleich erfahre Ablenkung am Steuer immer noch nicht die soziale Ächtung, die etwa Autofahren mit Alkohol im Blut allgemein entgegengebracht wird, stellen die Allianz-Experten klar. Im Gegenteil befeuert moderne Sicherheitstechnik bisweilen sogar das fahrlässige Verhalten. So hält jeder zweite Befragte eine oder mehrere Aktivitäten wie Alkoholtrinken oder Handy in der Hand für erlaubt, wenn gleichzeitig Fahrerassistenzsysteme aktiv sind.

Moderne Fahrzeuge erhöhen das Ablenkungsrisiko

Klar ist auch, dass die Nutzung moderner Fahrzeugtechnik immer komplexer wird und damit mehr Aufmerksamkeit abzieht. Fatal werden kann das, wenn sie während des Fahrens bedient wird, um etwa ein neues Fahrziel in den Bordcomputer einzutippen. „Kern des Problems ist, dass vielen Fahrerinnen und Fahrern die Gefahr zwar bekannt ist, sie diese Einsicht aber nicht auf ihren Fahralltag übertragen“, konstatiert Bakker leicht resignativ. Fakt ist auch, dass die Verführungen immer mehr verfügbar werden. 2016 war nur ein Drittel aller Autos mit einem zentralen Bediendisplay für einen Bordcomputer bestückt. Inzwischen ist es mehr als jeder zweite Wagen. Die Studie der Allianz ist ein Stück Grundlagenforschung. Denn in der amtlichen Polizeistatistik wird „Ablenkung“ erst seit 2021 als Unfallgrund erfasst und das nach Einschätzung der Allianz-Experten auch nur in betont konservativer Betrachtung.

Die Dunkelziffer sei deshalb wohl weit höher, als die ausgewiesenen 8223 Menschen, die 2021 wegen Ablenkung verunfallt sind. 117 Menschen starben dabei, was fünf Prozent aller Unfalltoten entspricht. Genauere Erfassung in anderen Ländern lassen auf mindestens ein Zehntel Anteil schließen, sagen die Allianz-Experten.

„Ablenkung ist die am meisten unterschätzte Unfallursache auf unseren Straßen“, bilanziert Allianz-Studienautor Jörg Kubitzki. In den ersten zehn Monaten 2022 sei die Zahl der Ablenkungsunfälle auf Deutschlands Straßen gegenüber dem Vorjahreszeitraum um fast ein Viertel gestiegen. Einsicht bleibt rar gesät. So stimmten nur vier von zehn Befragten zu, sich während der Fahrt per Kamera und Infrarotabtastung von Augen und Gesicht überwachen und vor gefährlichem Verhalten warnen zu lassen. So weit geht die Technikverliebtheit nicht.