In Frankreich könnte bereits im Dezember ein Mensch am Coronavirus erkrankt sein. Foto: dpa/Loic Venance

Die frühesten bislang bestätigten Fälle in Europa traten im Januar auf. Forscher haben nun potenziell Hinweise darauf gefunden, dass einige Menschen schon davor mit dem Virus infiziert waren - damals unerkannt.

Paris - Französische Wissenschaftler haben nach eigenen Angaben möglicherweise einen Fall einer Infektion mit dem neuen Coronavirus vom Dezember ermittelt - also etwa einen Monat vor den ersten offiziell bestätigten Fällen in Europa. Laut einer Studie, die im Fachblatt „International Journal of Microbial Agents“ veröffentlicht wurde, überprüften Ärzte eines Krankenhauses nördlich von Paris nachträglich Proben von 14 Patienten. Diese waren zwischen Anfang Dezember und Mitte Januar wegen atypischer Lungenentzündung behandelt worden.

Unter ihnen war der 42-jährige Fischhändler Amirouche Hammar. Der Mann aus Algerien lebt seit Jahren in Frankreich und war zuletzt nicht verreist. Hammar sagte dem Fernsehsender BFM-TV am Dienstag, er habe sich an einem frühen Morgen Ende Dezember selbst in die Notaufnahme eines Krankenhauses begeben, weil er sich sehr krank gefühlt habe, mit Schmerzen in der Brust und Atemnot.

Blutprobe fällt positiv auf

„Sie sagten: „Vielleicht haben Sie eine Infektion, eine Lungenentzündung, obwohl das nicht sicher ist. Aber was Sie haben, ist sehr ernst, sehr ernst, denn Sie husten Blut. Es ist keine normale Grippe““, berichtete Hammar. Er wurde in dem Krankenhaus aufgenommen mit Symptomen, die nach Angaben von Ärzten im Einklang mit jenen von Covid-19-Patienten in China und Italien stehen. Als Ärzte seine damalige Blutprobe jetzt erneut testeten, fiel sie Coronavirus-positiv aus.

„Den ersten infizierten Patienten zu identifizieren, ist von großem epidemiologischen Interesse, da es unser Wissen (über die Verbreitung des Coronavirus) dramatisch ändert“, schrieb Yves Cohen, einer der französischen Forscher. Cohen arbeitet als Spezialist für Intensivmedizin in den nördlichen Pariser Vororten, wo Hammar lebt und die von Covid-19-Infektionen und -Todesfällen besonders stark betroffen sind.

Hammar ist inzwischen genesen, und er scheint niemanden angesteckt zu haben. Cohen und seine Kollegen legten nahe, dass ihre Ergebnisse zeigten, dass es viele weitere unbemerkte Coronavirus-Fälle gegeben haben könnte, bevor die Krankheit offiziell in Europa erkannt wurde. Sie räumten aber ein, dass - weil die am Sonntag online veröffentlichte Studie im Nachhinein durchgeführt wurde - „die medizinischen Unterlagen nicht vollständig waren und einige relevante Informationen möglicherweise fehlten“.

Kann Ergebnis Forschern helfen?

Andere Experten erklärten, die Ergebnisse seien interessant, aber kaum schlüssig. Jonathan Ball, ein Professor für molekulare Virologie an der britschen Universität von Nottingham, sagte, möglicherweise seien die Ergebnisse auf eine Verunreinigung im Labor zurückzuführen. „Wenn er (mit Covid-19) infiziert war, würde man eine schnellere und frühere Verbreitung in Frankreich als beobachtet erwarten“, erklärte Ball, der nicht an der Studie beteiligt war.

Rowland Kao, ein Epidemiologe an der Universität Edinburgh, sagte, selbst wenn der Fall als Covid-19 bestätigt würde, würde das nicht beweisen, dass sich das Virus in Europa früher als bislang angenommen verbreitet habe. „Es gibt wahrscheinlich viele Fälle weltweit, bei denen sich Infizierte an einen nicht infizierten Ort begeben haben, aber keine Übertragung geschah“, sagte er.

Christian Lindmeier, ein Sprecher der Weltgesundheitsorganisation, sprach von aufregenden Neuigkeiten. Die Erkenntnisse könnten Forschern helfen, die Evolution des neuen Coronavirus besser zu verstehen, sagte er. Lindmeier rief alle Länder mit unklaren Fällen von Lungenentzündung seit November auf zu prüfen, ob es sich um Covid-19 gehandelt haben könnte.