Die Forscher erkunden die Luft mit einem fliegenden Labor – wie hier über dem Bärwalder See am Kraftwerk Boxberg bei Görlitz. Der durch den Braunkohletagebau entstandene Wasserspeicher ist heute der größte See in Sachsen. Foto: KIT

Wenn es um gesundheitsgefährdende und klimabelastende Partikel in der Luft geht, war bisher der Autoverkehr als maßgeblicher Verursacher im Visier. Karlsruher Forscher haben jetzt in einer Langzeitstudie andere Schadstoffquellen identifiziert.

Karlsruhe - Ultrafeine Partikel gelten als besonders gesundheitsschädlich – aber auch als klimarelevant. In dicht besiedelten Gebieten war bisher der Straßenverkehr als Hauptverursacher der winzigen Teilchen angesehen worden. Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben jetzt aber in einer Langzeitmesskampagne eine Quelle identifiziert, die besonders außerhalb von Städten von besonderer Relevanz ist: moderne Kohlekraftwerke. Diese emittieren nach der neuen Studie in der Summe mehr Ultrafeinstaub als das Verkehrsgeschehen und beeinflussen zudem das Wetter.

„Wir konnten zeigen, dass fossile Kraftwerke inzwischen zu den weltweit stärksten Einzelquellen für ultrafeine Partikel geworden sind“, sagte Wolfgang Junkermann vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) des KIT. Um dies festzustellen, führen Junkermann und sein Team seit mehr als 15 Jahren Messflüge durch. Die Klimaforscher hatten dafür eigens das nach eigenen Angaben „weltweit kleinste bemannte Forschungsflugzeug“ entwickelt. Das fliegende Labor, mit dem bis in 3000 Meter Höhe geflogen werden kann, ist mit hochsensiblen Instrumenten und Sensoren ausgestattet, die Staubpartikel, Spurengase, Temperatur, Feuchte, Wind und Energiebilanzen messen.

Minipartikel können Krebs begünstigen

Feinstaub spielt bei der Diskussion um Abgase und Luftverschmutzung mit eine zentrale Rolle – gerade auch in Stuttgart, wo an viel befahrenen Straßen immer wieder hohe Konzentrationen kleinster Partikel gemessen wurden. Bisher wird der Feinstaub von den offiziellen Messstellen des Umweltbundesamtes in den Größen PM 2.5 und PM 10 gemessen, wobei die jeweilige Zahl für den Durchmesser in Mikrometern steht. Mit 0,1 Mikrometern ist der sogenannte Ultrafeinstaub, den die Karlsruher Forscher ins Visier genommen haben, hundertmal winziger. Erfassbar seien diese Partikel nur mit einem sogenannten Spektrometer, das selten eingesetzt wird. Zudem gibt es bisher dazu keine Verordnungen oder Grenzwerte. Einige Studien aber legen nahe, dass die Minipartikel, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind, über Nase und Mund in die Lunge, aber wohl auch ins Gehirn gelangen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder Diabetes begünstigen.

Auch hierfür galt bisher der Autoverkehr als Hauptverursacher. Von den Karlsruher Forschern aber wurden jetzt insbesondere fossil befeuerte Kraftwerke, Raffinerien und Schmelzhütten als wichtige anthropogene – also von Menschenhand verursachte – Quellen identifiziert. Zahlreiche Flüge mit dem Karlsruher Forschungsflugzeug wurden zwischen 2012 und 2014 über ganz Deutschland durchgeführt. Weitere Daten stammten aus Flügen in Finnland, England, Frankreich und Italien, sagte Junkermann. Seine Erkenntnisse hat er jetzt zusammen mit dem australischen Co-Autor Jorg M. Hacker in einem US-amerikanischen Fachmagazin der amerikanischen meteorologischen Gesellschaft („American Meteorological Society“) publiziert.

Abgasfilter verschärfen das Problem

Für Junkermann ist klar: Es sind besonders die Kohlekraftwerke und Raffinerien, die – jeweils regional unterschiedlich messbar – regelmäßig für hohe Ultrafeinstaubwerte verantwortlich sind. So hat Junkermanns Team, dessen Flugzeug am „KIT-Campus Alpin“ in Garmisch-Partenkirchen beheimatet ist und einem Gleitschirmflieger ähnelt, bei dem Kohlekraftwerk Boxberg in der Lausitz (Kreis Görlitz/Sachsen) in der Abluftfahne in 20 Kilometern Entfernung noch bis zu 85 000 Partikel pro Kubikzentimeter gemessen. Das Kraftwerk Boxberg war – noch zu DDR-Zeiten – das einst größte Braunkohlekraftwerk im Osten. Das KIT-Team hat vergleichbare Kohlemeiler in Baden-Württemberg, unter anderem in Mannheim und Karlsruhe, überflogen: mit ähnlichen Ergebnissen wie in Sachsen. Mit Einsatz einer modernen Abgasreinigung seien „die Bedingungen für die Partikelneubildung optimal“, so Junkermann. Zum Vergleich: An viel befahrenen Straßen in Stuttgart finden sich laut Angaben der Deutschen Umwelthilfe gerade einmal „zwischen 25 000 und 30 000“ Ultrafeinstaub-Partikel pro Kubikzentimeter Luft. Etwa 20 000 Partikel seien „in einer Stadt normal“, heißt es.

In der freien Natur erzeugen etwa Waldbrände, Staubstürme oder Vulkanausbrüche feine Partikel. Die Klimaforscher stellten fest, dass deren Konzentration auch in vielen abgelegenen Gebieten stetig ansteigt – die neuen, zusätzlichen Partikel jedoch keinen natürlichen Ursprung haben. Auch aus einem anderen Grund verdient der Ultrafeinstaub aus Kraftwerken daher besondere Aufmerksamkeit: Nach der Emission – je nach Höhe der Abluftkamine – in 200 bis 300 Metern Höhe können die winzigen Teilchen mehrere hundert Kilometer zurücklegen, je nachdem welche Wetterverhältnisse und Klimabedingungen in der Atmosphäre herrschen. Dabei nehmen sie gewaltigen Einfluss auf Umweltprozesse.

Auswirkungen auf Niederschläge

„Sie bieten Oberflächen für chemische Reaktionen oder können als Kondensationskerne die Eigenschaften von Wolken und Niederschlag beeinflussen“, sagte der Umweltphysiker Junkermann. Die Folge sei nicht unbedingt, dass es weniger regne. „Die Partikel können auch extreme Regenfälle verstärken.“

Der Forscher und sein fliegendes Labor

Für die Messflüge nutzten die Klimaforscher das am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entwickelte weltweit kleinste bemannte Forschungsflugzeug. Das fliegende Labor ist mit hochsensiblen Instrumenten und Sensoren ausgestattet, die Staubpartikel, Spurengase, Temperatur, Feuchte, Wind und Energiebilanzen messen können. Diese Daten glichen Wolfgang Junkermann und seine Kollegen mit meteorologischen Beobachtungen sowie Ausbreitungs- und Transportmodellen. So konnte das Forscherteam zeigen, dass fossile Kraftwerke inzwischen zu den weltweit stärksten Einzelquellen für ultrafeine Partikel geworden sind und meteorologische Prozesse massiv beeinflussen können.

Wo findet sich die Studie?

Der Umweltphysiker Wolfgang Junkermann (67) arbeitete nach dem Studium der Umweltphysik an der Universität Heidelberg zunächst an einem Forschungszentrum für Umweltchemie in Zürich. Seit rund 30 Jahren ist er am Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) und dem früheren Institut für Umweltforschung (IFU) am Forschungszentrum der Helmholtz-Gesellschaft in Karlsruhe tätig. Dieses ist Teil des KIT. Seit 1998 ist er Pilot des am Forschungszentrum entwickelten Forschungsflugzeugs vom Typ „D-MIFU“.

Wie Kraftwerks-Emissionen die Bildung von ultrafeinen Partikeln beeinflussen und welche Wirkung sie auf das Klima haben, beschreiben Junkermann und sein Co-Autor Jorg M. Hacker im Magazin Bulletin of the American Meteorological Society (Quelle: doi:10.1175/BAMS-D-18-0075.1).