Personen mit ausgeprägter Gefühlskälte haben laut einer Studie kein Gespür für das Nähebedürftnis anderer. Foto: dpa

Manche Menschen brauchen nicht viel Abstand zu einem Fremden. Verfügen diese über einen besonders starken Kuschelfaktor? Eine Studie zeigt, dass genau das Gegenteil der Fall ist.

Washington - Es gibt bekanntlich Menschen, die nicht viel Abstand zu einem Fremden brauchen. Verfügen sie also über einen besonders starken Kuschelfaktor? Eine Studie zeigt, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Joana Vieira und Abigail Marsh von der Georgetown University in Washington untersuchten an 46 Probanden, denen sich eine fremde Person näherte, ab wann sie sich unwohl fühlten und dies auch ausdrücklich zu verstehen gaben. Zuvor wurden in einem Interview diverse Persönlichkeitsmerkmale abgefragt – wobei ein Schwerpunkt auf psychopathische Merkmale wie Gefühlskälte und Empathiemangel gelegt wurde.

Es zeigte sich, dass gerade die kaltschnäuzigsten Probanden mit der schwächsten Empathie kaum Probleme mit menschlicher Nähe hatten. Im Durchschnitt beklagten sie sich erst, wenn man ihnen näher als 67 Zentimeter auf die Pelle rückte. Einige hielten sogar Distanzen von weniger als 50 Zentimetern aus. Wer sich hingegen im Interview als warmherzig und empathisch offenbart hatte, beanspruchte im Durchschnitt 98 Zentimeter, also fast einen Meter Mindestabstand zwischen sich und dem Fremden. In einigen Fällen mussten es sogar 160 Zentimeter sein. Zum Vergleich: ein durchschnittlicher Männerarm hat 90, ein durchschnittlicher Frauenarm 82 Zentimeter Länge.

Das Bedürftnis nach Distanz ist manchen Menschen schlichtweg egal – Der Grund dafür liegt im Gehirn

Was die Frage aufwirft, warum ausgerechnet Personen mit ausgeprägter Gefühlskälte die körperliche Nähe eines anderen, ihnen fremden Menschen suchen. Eine psychologische Erklärung lautet, dass sie eigentlich gar nicht dessen Nähe wollen, sondern ihnen schlichtweg egal ist, wenn sie dessen persönliche Sicherheitszone betreten. Die Hirnforscherinnen Vieira und Marsh interessieren sich aber auch für die neurobiologischen Grundlagen des menschlichen Verhaltens: Sie wollten wissen, was im Gehirn passiert, wenn sich Menschen unwohl fühlen. Dazu haben sie in einem weiteren Experiment Probanden aufgefordert, auf einem Bildschirm zwei Menschen in einem solchen Abstand voneinander zu positionieren, der ihnen angemessen erschien. Parallel dazu untersuchte man die Tätigkeit ihrer Amygdala, einem entwicklungsgeschichtlich sehr alten Teil des Gehirns, das vor allem für Angst und das Erkennen von Gefahren zuständig ist.

Es zeigte sich: Wer eine besonders aktive Amygdala hatte, positionierte die Personen auf dem Bildschirm weiter auseinander als derjenige, dessen Furchtzentrum unter der Schädeldecke weniger aktiv war. „Und aus anderen Studien wissen wir mittlerweile, dass eine Amygdalafunktion, die atypisch ist, besonders charakteristisch für psychopathische Persönlichkeiten ist“, so Vieira.

Wenn uns also ein Unbekannter eng auf die Pelle rückt, kann das bedeuten, dass ihm als Psychopath unser Bedürfnis nach Distanz egal ist und er keine Angst vor uns hat. Was uns wiederum erst recht dazu bewegen sollte, auf reichlich Abstand zu ihm zu gehen.