2009 erregte dieses Kunstwerk mit dem Titel „Im Namen des Herrn“ die Gemüter Foto: dpa

Auch in Behinderten-Einrichtungen wurden früher Kinder misshandelt. In welchem Ausmaß, das versucht gerade die Katholische Hochschule in Freiburg zu ergründen. Die Zusammenarbeit mit den Behinderteneinrichtungen laufe gut, so die Projektleitung.

Auch in Behinderten-Einrichtungen wurden früher Kinder misshandelt. In welchem Ausmaß, das versucht gerade die Katholische Hochschule in Freiburg zu ergründen. Die Zusammenarbeit mit den Behinderteneinrichtungen laufe gut, so die Projektleitung.

Freiburg - Sie wurden geschlagen, vergewaltigt und zur Zwangsarbeit verdonnert. Vor wenigen Jahren erst kam ans Licht, wie systematisch Heimkinder in Deutschland bis weit in die 1970er Jahre misshandelt wurden. Der öffentlichen Empörung folgte ein 120 Millionen Euro schwerer Entschädigungsfonds, an dem sich der Bund, die westdeutschen Bundesländer und die christlichen Kirchen zu je einem Drittel beteiligen.

Das Problem: Ein Teil der Betroffenen hat bis heute kein Geld erhalten. So wurden Behinderteneinrichtungen und Psychiatrien, in denen es nicht minder brutal zuging, von Anfang an vom Hilfsfonds ausgeschlossen – auch aus Angst vor weiteren finanziellen Forderungen, die dann auf den Staat zukämen. Opferverbände kritisieren dies.

Ein kleiner Schritt in diese Richtung passiert nun an der Katholischen Hochschule Freiburg. Das Institut für angewandte Forschung, Entwicklung und Weiterbildung (IAF) will die Erlebnisse der Betroffenen in einer Studie darstellen. Man suche nicht nach Schuldigen, betont Projektleiterin Laura Arnold. Stattdessen wolle man zeigen, wie die Situation damals gewesen sei.

Um das herauszufinden, hat die Hochschule einen Aufruf gestartet, auf den bisher rund 40 Zeitzeugen aus ganz Deutschland reagiert haben. Manche leben noch heute in derselben Einrichtung wie damals. „Wir haben ihnen völlige Anonymität zugesichert“, sagt Arnold. Das Personal bekomme die Fragebögen nicht zu sehen.

Was in den Gesprächen zutage tritt, ist häufig keine leichte Kost – und es geht längst nicht nur um körperliche Gewalt. „Manche haben gar nicht verstanden, warum sie in einem solchen Heim leben mussten“, sagt Arnold. „Wir können oft gar nicht mehr rekonstruieren, wer sie eingewiesen hat. War es das Jugendamt? Waren es die Eltern? Viele Akten sind nicht mehr auffindbar.“

Die Definition, wann jemand als behindert galt, sei ohnehin anders gewesen: „Man sprach von Schwachsinnigen und Idioten.“ Für die Gespräche benötigte die 25-Jährige viel Fingerspitzengefühl. „Es ist wichtig, dass niemand zu etwas gedrängt wird. Wir wollen schließlich keine alten Wunden aufreißen.“ Je nach Einrichtung seien die Erlebnisse höchst unterschiedlich. „Manche durften nicht mal alleine ins Bad, andere haben positive Erinnerungen und telefonieren heute noch mit ihren Betreuern.“

Waren Misshandlungen ein Fehler des Systems? „Das kann ich noch nicht einschätzen“, sagt Arnold. Die Studie läuft bis Ende 2015. Nach den persönlichen Interviews folgt demnächst der „quantitative Teil“. Dann versuchen die Wissenschaftler die Einzelschicksale zu verallgemeinern. Kollegen von der Fachhochschule Köln und der Ruhr-Universität Bochum helfen dabei.

Nicht immer verläuft die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Wissenschaftlern problemlos. Letztes Jahr feuerte die Katholische Kirche den Kriminologen Christian Pfeiffer, den sie zwei Jahre zuvor für die Aufklärung des Missbrauchsskandals eingestellt hatte. Pfeiffer fühlte sich bevormundet und warf ihr Zensur vor – die Kirche wiederum weigerte sich, dem Wissenschaftler alle Geheimarchive zugänglich zu machen. „Bei uns gibt es solche Probleme nicht“, versichert Arnold.

Im gesamten Forschungszeitraum werde man sich vier- bis fünfmal zusammensetzen, um den Stand der Dinge zu besprechen, so Arnold. Der Auftraggeber, die Caritas Behindertenhilfe, hat seinen Sitz in derselben Straße, in der die Hochschule liegt. „Da nimmt niemand Einfluss“, sagt Arnold. „Die Nähe erleichtert aber vieles.“

Auch die Zusammenarbeit mit den Behinderteneinrichtungen laufe gut. „Da passiert viel“, sagt die Projektleiterin. Häuser mit einer „klinischen Atmosphäre“ (wie früher) gebe es kaum noch. Stattdessen würden behinderte Kinder in Wohngruppen oder in Einzelzimmern untergebracht. Auch Ordensschwestern seien heute die Ausnahme.

Opfer-Vertreter sehen die Studie kritisch. „Es ist doch absurd, dass die Katholische Kirche sie in Auftrag gibt“, sagt Dirk Friedrich, Vorsitzender des Vereins ehemaliger Heimkinder. Man müsse davon ausgehen, dass das Ergebnis „ganz im Sinne des Auftraggebers“ ausfallen werde. „Es muss endlich zu einer Einigung kommen. Mit solchen Studien will die Kirche nur Zeit schinden.“

Tatsächlich bleibt offen, was mit den erhobenen Daten geschieht. Wie verbindlich sind sie? Werden sich auch Politiker mit der Studie beschäftigen? Laura Arnold sagt, das falle nicht mehr in ihre Zuständigkeit. „Wir versuchen das Thema historisch und sozialwissenschaftlich aufzuarbeiten. Die Schlüsse daraus müssen andere ziehen.“