Das Stuttgarter Weindorf ist für Analysten der Handydaten interessant, die daraus Erkenntnisse für Verkehrsplaner ableiten. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Wer das Handy benutzt, loggt sich in Mobilfunkzellen an bestimmten Standorten ein. Aus diesen Daten lassen sich Verkehrsströme analysieren, stellt das Fraunhofer-Institut fest – mit einem interessanten Blick auf Stuttgart.

Stuttgart - Ohne Daten ist der Verkehr in den Ballungsräumen nicht mehr zu organisieren. Dabei gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die Verkehrsströme zu erfassen – über die Navigationssysteme der Autos, über automatische oder manuelle Zählungen an großen Kreuzungen oder über die Befragung von ÖPNV-Nutzern. Geht das auch über Mobilfunkdaten, also darüber, wie lange und in welche Mobilfunkzellen Handys eingeloggt sind? Das hat im Auftrag der Teléfonica, die mit dem O2-Netz der größte Mobilfunkanbieter im Land ist und das Geschäftsfeld Datenanalyse als Verdienstmöglichkeit im Blick hat, das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart mit anderen Spezialisten untersucht. Ergebnis: Mobilfunkdaten können für die Verkehrsplanung eingesetzt werden. Und sie bieten interessante Einblicke wie das Beispiel Stuttgart zeigt.

Mobilfunkdaten von mehr als 44 Millionen Nutzern stehen Teléfonica zur Verfügung – beispielsweise wenn Handys beim Surfen oder Telefonieren mit Mobilfunkzellen kommunizieren. Über diese Zuordnung können Bewegungsströme berechnet werden, wobei die Daten, so versichert das Mobilfunkunternehmen, in drei Stufen anonymisiert würden und damit kein Rückschluss auf Einzelpersonen möglich sei. Die Datenmenge ist enorm, sie repräsentiert rund die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland. „Im Bereich der Verkehrsplanung stehen wir vor großen Herausforderungen. Der Datenschatz muss gehoben werden“, sagt Florian Marquart von Teléfonica.

Vorteil: jederzeit verfügbar

Als Vorteil der Mobildaten stellen die Experten des Fraunhofer-Instituts heraus, dass sie zeitlich rund um die Uhr verfügbar seien und keine zusätzliche Infrastruktur benötigt werde. „Sie können einen positiven Beitrag zur Verkehrsplanung leisten“, sagt Professorin Anette Weisbecker, stellvertretende Institutsleiterin des Fraunhofer IAO: „Die Daten sind zeitlich und räumlich hochaufgelöst vorhanden und ermöglichen neue Einblicke in die Einflussfaktoren des urbanen Verkehrs.“ Allerdings lassen sie momentan noch keinen exakten Rückschluss darauf zu, welches Verkehrsmittel benutzt wird. Es geht also nicht nur um den Autoverkehr, auch jeder Pendler, der Bahn und Busse benutzt, wird erfasst.

Das Beispiel Frühlingsfest

Das wird deutlich, wenn man die Bewegungsströme im Berufsverkehr Stuttgarts deutet. Anders als beispielsweise im Ruhrgebiet und in Rhein-Main mit mehreren Zentren sind sie hier (und übrigens auch in München, Hamburg und Berlin) zentral auf die Innenstadt ausgerichtet – mit einer starken Achse von Vaihingen in den Talkessel: Dort fährt – neben (oder besser unter) der B 14 – auch die S-Bahn. „Dieser hoher Zentralisierungsgrad liegt einerseits an der Gestaltung des ÖPNV-Netzes, dessen Hauptstrecken in Stuttgart durch die Innenstadt führen, aber auch daran, dass ein Großteil der Wege durch die City führt“, stellen die Autoren Alexander Schmidt und Tobias Männel fest.

Um den Vorteil der Handydaten zu verdeutlichen, haben sich die Experten auch damit beschäftigt, wie sich Großveranstaltungen wie das Cannstatter Frühlingsfest und das Weindorf Ende August auf das Verkehrsverhalten auswirken. So steigen die Verkehrsströme rund um den Wasen während des Frühlingsfestes deutlich an – um bis zu 40 Prozent gegenüber einer normalen Woche. Wegen der hohen zeitlichen Auflösung der Mobilfunkdaten kann dies sogar auf bestimmte Uhrzeiten an bestimmten Tagen heruntergebrochen werden. Ergebnis: Das höhere Aufkommen ist vor allem am späteren Nachmittag unter der Woche und am Freitag und Samstag bis hinein in die Morgenstunden. Aufgrund der Einloggvorgänge kann aus den Daten auch herausgelesen werden, woher die Besucher kommen. Auffallend nach Ansicht der Experten: Schwerpunkte liegen im Stuttgarter Nordosten und in dem durch viele Studentenwohnheime geprägten Gebiete in Vaihingen-Nord.

Das Beispiel Weindorf

Ganz anders sind die Erkenntnisse für das Weindorf im Zentrum der Stadt. Hier wurde wenig zusätzlicher Verkehr registriert, allerdings eine zeitliche Verschiebung (siehe Grafik). Die An- und Abreisezeiten in der Innenstadt fanden später statt. „Diese Verschiebung indiziert, dass Bewohner und Pendler ihren Feierabend auf dem Weindorf verbringen“, sagen Schmidt und Männel. Beim Weindorf kommen nach dieser Analyse mehr Besucher aus den südlichen Stadtteilen wie Möhringen, Degerloch und Sillenbuch. Auch wenn der Vergleich der Kunden der beiden Veranstaltungen – hier Frühlingsfest, dort Weindorf – nicht näher untersucht worden sei, müsse schon eine unterschiedliche Verteilung der Herkunft der Besucher registriert werden, so die Autoren.

Grundsätzlich sind sie davon überzeugt, dass die Daten an sich schon für die Verkehrsplanung nützlich sein können. Um das „beträchtliche Potenzial“ zu heben, seien aber weitere Analysewerkzeuge und die Kombination mit anderen Daten nötig.

Auch bei den befragten Experten aus der Stadt- und Regionalverwaltung und aus den Verkehrsbetrieben wird das Instrument insgesamt positiv eingeschätzt. „Wir könnten mit den Mobilfunkdaten kontinuierliche Informationen zur Verkehrslage gewinnen und damit unsere eigenen manuellen Erhebungen ergänzen“, sagt VVS-Geschäftsführer Thomas Hachenberger, „ein Vorteil wäre, dass wir die Kosten für punktuelle Erhebungen bei bestimmten Ereignissen sparen könnten.“