Der Handel mit China ist insbesondere für die deutsche Wirtschaft existenziell. Im Bild der Containerhafen von Qingdao. Foto: picture alliance/dpa

Unterbrochene Lieferketten, verschlossene Absatzmärkte, umstrittene Handelspartner wie China – eine internationale Arbeitsteilung bietet laut Wirtschaftsexperten trotzdem größere Vorteile als eine kontrovers diskutierte Abkopplung der EU vom Weltmarkt.

China und die USA spielen für die deutsche Wirtschaft eine überragende Rolle. Deutschland sei zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt aufgestiegen, „weil sich die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten massiv internationalisiert und global vernetzt hat“, analysiert Andreas Glunz, Bereichsvorstand International Business bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, in einer Studie, die sich mit den Auswirkungen von globalen geopolitischen Krisen und wirtschaftlichen Autarkiebestrebungen beschäftigt.

Autarkie schadet Deutschland

Deutschland sei nach den USA das am stärksten global aktive und international investierte Land. „Das Geschäftsmodell der deutschen Wirtschaft basiert auf weltweiten Lieferketten und Absatzmärkten sowie der Verfügbarkeit von günstigen internationalen Ressourcen und Produktionsstandorten“, so Glunz. Dabei seien China und die USA für die deutsche Wirtschaft die mit Abstand größten Lieferanten, Produktionsstandorte und Absatzmärkte. Dieses Geschäftsmodell werde mehr und mehr bedroht durch das Decoupling – die Entkopplung der Weltwirtschaft, insbesondere der beiden großen Wirtschaftsblöcke USA und China – und durch geopolitische Krisen.

Dabei beurteilt Glunz das Decoupling als einen langfristigen Trend, der zum Beispiel durch „America First“ in den vergangenen Jahren „befeuert wurde“. Ein zentraler Gedanke dabei ist: die USA kümmere sich um sich selbst zuerst, „bevor wir uns um alle anderen in der Welt sorgen“, wie es der ehemalige US-Präsident Donald Trump formulierte. Auch sein Nachfolger Joe Biden agiert gemäß dieses Grundsatzes, wenn auch bedeutend geräuschloser. Pandemien, Kriege wie der Russlands gegen die Ukraine, der Brexit sowie protektionistische Maßnahmen wie Sanktionen und Handelsbeschränkungen haben die Tendenz von Nationalstaaten zur Abschottung noch verstärkt.

Pläne innerhalb der Europäischen Union, den Staatenbund unabhängiger vom Weltgeschehen zu machen, indem die wirtschaftliche und strukturelle Unabhängigkeit ausgebaut wird, halten Wirtschaftsexperten insbesondere für Deutschland für nicht erfolgversprechend. „Der Preis für eine strategische Autonomie der EU wäre in Deutschland sehr hoch“, heißt es in einer Studie der Stiftung Familienunternehmen mit dem Titel „Der Volkswirtschaftliche Schaden von Decoupling in Deutschland“. Autor ist Gabriel Felbermayr, Präsident des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo/Wien), gemeinsam mit Oliver Krebs, Zürich. Die 2002 gegründete Stiftung Familienunternehmen wird getragen von mehr als 500 größeren deutschen Familienunternehmen.

Negativ betroffen von einer Abschottung wären besonders die großen Familienunternehmen, so die Autoren. „Für sie übertreffen die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung bei weitem die Schmerzen aus unterbrochenen Lieferketten oder verschlossenen Absatzmärkten“, wie es in der Studie heißt. Felbermayr, der vor seinem Engagement in Wien Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel war, empfiehlt der Politik daher, mit großer Vorsicht an das Thema Decoupling heranzugehen. Von entscheidender Bedeutung sei, dass die deutsche Wirtschaft Zeit zur Anpassung habe.

Um negative Effekte abzufedern, empfiehlt Felbermayr wirtschaftspolitische Maßnahmen: beispielsweise staatliche Investitionen und Förderungen zur Ansiedlung von Betrieben. „Die Erfahrungen der Corona- und Ukrainekrise haben Politik und Unternehmen zu einer Neubewertung von Lieferketten und Abhängigkeiten gebracht. Das ist vernünftig“, sagt Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen. Doch die Studie mache deutlich: „Die Vorteile des globalen Handels sind meist unschlagbar.“

Starke Einkommensverluste in Südwestdeutschland?

Die Studienautoren betrachten den Handel mit Vor- und Zwischenprodukten. Dabei haben sie unter anderem Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und des Instituts für Wirtschaftsforschung ausgewertet. Gemessen werden die Effekte auf das reale Durchschnittseinkommen. Dieses sinkt demnach auf Bundesebene in den Modellen am stärksten bei Abkoppelung der USA (minus drei Prozent), gefolgt von China und Großbritannien (jeweils minus zwei Prozent) und dann von Schweiz und Russland (jeweils minus 1,5 Prozent). „Eine exportseitige Entkoppelung wäre mit den USA besonders teuer, importseitig besonders mit China“, schreibt Felbermayr.

Sehr unterschiedlich sind die Effekte in den einzelnen Sektoren der Volkswirtschaft und damit auch auf die Regionen, in denen sie sich konzentrieren. Die empfindlichsten Sektoren seien demnach Handel, Informationstechnologie und Finanzdienstleistungen. In vielen Kreisen würde das Realeinkommen durch eine Entkoppelung von allen Über-seeregionen zwischen 20 und 36 Prozent fallen. Vor allem der Nordwesten der Republik wäre betroffen. Auch die geografische Nähe zum Handelspartner spielt eine Rolle, beispielsweise die Nähe Südwestdeutschlands zur Schweiz. Regionen in Baden-Württemberg wären laut Studie von einem Realeinkommensverlust mehr als 25-mal so stark tangiert wie die am wenigsten betroffenen Gegenden in Deutschland.

Eine „strikte Autarkie“ bezeichnen die Macher der Studie als „eine Illusion“. Weltweite Herausforderungen wie die Klimakrise, geopolitische Verwerfungen seien nur global zu meistern. „Decoupling würde enorm kostspielige und langwierige Anpassungsprozesse für Unternehmen, Branchen und Regionen bedeuten“, heißt es in der Studie. Rechtssicherheit durch Handelsabkommen erscheint den Studienautoren als der klügere Weg, um die Konsummöglichkeiten in Deutschland und seinen Regionen zu schützen. „Regelmäßige Rückschläge, beispielsweise aufgrund widerstreitender politischer und wirtschaftlicher Interessen, sind inbegriffen“, stellt Felbermayr fest.