Wie reagieren Autofahrer, wenn sie mit einem Assistenzsystem fahren? Studierende der Dualen Hochschule Stuttgart haben das Verhalten bei 200 Probanden untersucht. Das Ergebnis ist beunruhigend.
Stuttgart - Der Mann am Steuer lässt seinen Blick schweifen – von den Bäumen am Rand der Wildparkstraße auf die Oberschenkel des Beifahrers, dann nimmt er für ein paar Sekunden tatsächlich die Straße ins Visier, bevor die Pupillen wieder auf Wanderschaft gehen. Diesmal interessiert den Fahrer, was sein Nebensitzer auf dem Fragebogen notiert, den er auf den Oberschenkeln liegen hat.
Testfahrt durch Stuttgart
Wir befinden uns auf einer Testfahrt mit einem Mercedes-Fahrzeug, das mit einigen Assistenzsystemen ausgestattet ist. Studenten der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) haben bei Touren mit mehr als 200 Probanden im vergangenen Dezember ermittelt, wie automatisiertes Fahren genutzt wird. Und eine von vielen neuen Erkenntnissen ist durchaus beunruhigend: Wer die bereits heute in Autos eingebauten Fahrassistenzsysteme des Levels 2 wie Spurhalte- und Tempoassistent nutzt, schaut doppelt so lang nicht auf die Straße und dafür anderswohin als Fahrer von Autos ohne diese Technik. Was, so fragen sich die Studierenden, passiert wohl, wenn das teilautomatisierte Fahren weiter ausgebaut und seine Nutzung zur Gewohnheit wird: „Geht dann der Trend zur Abwendung vom Verkehrsgeschehen noch weiter und steigt damit das Unfallrisiko?“
Für Professor Marc Kuhn, den Leiter des Zentrums für Empirische Forschung an der DHBW, trifft die Untersuchung, die als Band 10 der Forschungsberichte des ZEF in diesen Tagen veröffentlicht wird, damit den Nerv der Zeit. Unfälle in den USA – teilweise mit tödlichem Ausgang – heizen die Debatte über Vor- und Nachteile des autonomen Fahrens an. „Kann man sich auf Computer als Steuer- und Entscheidungsinstitution im Auto verlassen?“, fragt Kuhn. Und wie reagieren Nutzer auf die bisher auf dem Markt verfügbaren Assistenzsysteme, die zwar teilautomatisiertes Fahren ermöglichen, bei denen „der Fahrer die Hände vom Steuer nehmen kann, aber dennoch stets den Straßenverkehr im Blick haben muss, um jederzeit eingreifen zu können“.
Einparken und Überholen getestet
Dieser Fragestellung haben sich 39 Studierende der Betriebswirtschaftslehre gewidmet. Im Mittelpunkt stand dabei die Testfahrt vom DHBW-Gebäude in der Paulinenstraße hinauf zur Solitude und über den Heslacher Tunnel wieder zurück zum Ausgangspunkt. Dabei wurden alltägliche Vorgänge wie Einparken und Überholen mal mit, mal ohne Assistenz absolviert. Vor und nach der Fahrt mussten die „Testfahrer“ Fragebogen zum automatisierten Fahren ausfüllen, während der Fahrt wurden per Eye-Tracking- und EEG-System ihre Blickwinkel und Anspannungszustände gemessen, wobei sich die Gehirnstrommessung aufgrund technischer Probleme als nicht aussagekräftig erwies.
Viele Fahrer sehen noch Entwicklungsbedarf
Auffallend sind die unterschiedlichen Bewertungen der Fahrassistenz vor und nach der Testfahrt. Zwar wurde in beiden Befragungen als positiver Aspekt die Sicherheit am häufigsten genannt, die Unterstützung des Fahrers schnellte aber nach oben, während Stressreduktion nach hinten rutschte. Signifikant sind die Veränderungen bei den negativen Aspekten: Hier schoss die Kategorie Entwicklungsbedarf nach vorne, gefolgt vom mangelnden Vertrauen in die Technik. Die Studierenden führen das auf (zu) hohe Erwartungen der Testfahrer zurück, aber auch darauf, dass die Systeme während der Fahrt mitunter ausfielen – witterungsbedingt, aber auch mangels Markierungen.
Insgesamt gibt es für die Studierenden kein einheitliches Bild. Die einzelnen Assistenzsysteme werden sehr unterschiedlich wahrgenommen – überwiegend positiv die Hilfe beim Einparken, eher reserviert Spurhalte- und -wechselassistent. Es überwiege aber die Bereitschaft, die neue Technik zu nutzen und dafür auch Geld zu bezahlen. Dabei sollte die Automobilwirtschaft aber vor allem den Sicherheitsaspekt des automatisierten Fahrens in den Vordergrund stellen und mehr und besser informieren. „Das Thema spaltet die Nutzer“, sagt Kuhn, der vor allem aufgrund der Ergebnisse der Blickkontrolle Handlungsbedarf erkennt.
Helfen leichte Elektroschocks?
Zwar richteten die Fahrer bei eingeschalteten Assistenzsystemen 60 bis 70 Prozent der Zeit ihren Blick auf die Straße, „zu 30 Prozent schauen sie aber weg, und bei ganz Risikofreudigen erhöht sich dies sogar auf die Hälfte der Zeit“. Da müsse „etwas passieren“, appelliert Kuhn an die Industrie. Seine Studierenden empfehlen für diejenigen, die partout nicht auf die Straße schauen, auch unkonventionelle Methoden: „leichte Elektroschocks, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen“.