Wer einen festen Hausarzt hat, profitiert Foto: dpa

Patienten mit einem festen Hausarzt müssen nach Darstellung der AOK Baden-Württemberg seltener in die Klinik und bekommen weniger Medikamente verordnet.

Berlin - Christopher Hermann, Chef der Südwest-AOK, hat nicht die Angewohnheit, rhetorische Zurückhaltung zu üben, wenn er von einer Sache überzeugt ist. Spricht er vom Gesundheitssystem hergebrachter Prägung, dann nennt er es „Altsystem“. Was andeutet, dass er es überwinden will. Nun sieht er sich im Besitz zusätzlicher argumentativer Munition, um „die Blockade-Positionen der Monopolisten des Altsystems“ sturmreif zu schießen.

Die Südwest-AOK ist Pionier auf dem Feld der „hausarztzentrierten Versorgung (HZV)“. Dabei schreibt sich der Patient bei einem Hausarzt verbindlich ein, der seine erste Anlaufstelle ist und ihn dann als Lotse durch die notwendigen Untersuchungen leitet, ihn zu Fachärzten vermittelt und über Vorsorge- und Unterstützungsprogramme – etwa für Chroniker – informiert. Dazu schließt die AOK mit den Hausärzten direkt Verträge. Die HZV steht also außerhalb des kollektiven, von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) gesteuerten Vergütungssystems. Für die beteiligten Ärzte lohnt sich das finanziell, stellt aber auch besondere Anforderungen an sie. Inzwischen sind 1,25 Millionen Versicherte und 3800 Hausärzte in Baden-Württemberg beteiligt.

Dass eine Kasse über solche direkten Verträge mehr Gestaltungsmacht gewinnt, ist klar. Die Frage war dabei immer, ob sich der Aufwand für den Patienten lohnt. Nun liegt eine gemeinsame wissenschaftliche Analyse des HZV-Systems durch die Universitäten Frankfurt und Heidelberg vor, die der hausarztzentrierten Versorgung ein sehr gutes Zeugnis ausstellt. Gestern wurde sie in Berlin vorgestellt. Es gebe „deutliche Hinweise auf eine Reduktion von Über-, Unter- und Fehlversorgung“. Überflüssige Behandlungen und nicht notwendiger Medikamenteneinsatz seien im Vergleich zum Regelsystem nachweislich weniger häufig, sagen die Wissenschaftler Professor Joachim Szecsenyi (Heidelberg) und Professor Ferdinand Gerlach (Frankfurt/Main).

Im Einzelnen belegen ihre Auswertungen, dass im Vergleich zu den Patienten im Regelsystem jährlich 4500 Klinikeinweisungen vermieden wurden. Das sei kein zufälliges Ergebnis, sagt Szecsenyi, es sei die Folge einer „viel intensiveren Beziehungen zwischen Hausarzt und Patient“. So haben HZV-Patienten im Jahr im Schnitt drei Hausarztbesuche mehr. Überflüssige Behandlungen nehmen nach Angaben der Wissenschaftler dadurch ab.

So liegt die Zahl der unkoordinierten Facharztkontakte um ein Fünftel unter der Regelversorgung. Zudem wird ein Drittel weniger Medikamente verschrieben. Der Wissenschaftler rechnet vor, dass die Pharmatherapiekosten im ambulanten Bereich für die HZV-Patienten im Jahr pro Person „über 100 Euro geringer“ ausfielen als in der Regelversorgung. Hinzu komme zudem eine bessere Versorgung von chronisch kranken Patienten, zumal von älteren Chronikern durch besondere Präventionsprogramme.

Die Südwest-AOK investierte im vergangenen Jahr 300 Millionen Euro in die HZV. Allein die wirtschaftlichen Einspareffekte durch entfallene Einzelleistungen an die KV, durch vermiedene Krankenhausausgaben und eine rationalere Arzneimitteltherapie beziffert die Kasse auf 105 Millionen Euro.

Die Ärzte sind mit dem System nicht zuletzt zufrieden, weil ihre Einkommen dadurch planbarer und höher sind. Berthold Dietsche, Chef des Deutschen Hausärzteverbandes in Baden-Württemberg, lobte „weniger Bürokratie“ und freute sich über „gestiegene Berufszufriedenheit und Investitionssicherheit“. Das sei geradezu „eine neue Welt“ für die Hausärzte. Werner Baumgärtner, Vorsitzender des Ärzteverbundes Medi im Südwesten, wies zudem darauf hin, dass beim HZV-System „die Probleme mit Wartezeiten für die Patienten gelöst“ seien.