Vor 40 Jahren wurde der erste Fair-Trade-Kaffee verkauft. Einen Überblick über Siegel bekommen Sie in unserer Bildergalerie Foto: Transfair

Mit interaktiver Grafik - Wer Kaffee oder Tee aus fairem Handel kauft, will sich für eine gerechtere Wirtschaft einsetzen. Doch nach einer aktuellen Studie ist der faire Handel gar nicht so fair: Hilfsarbeiter verdienen nicht besser als anderswo.

Wer Kaffee oder Tee aus fairem Handel kauft, will sich für eine gerechtere Wirtschaft einsetzen. Doch nach einer aktuellen Studie ist der faire Handel gar nicht so fair: Hilfsarbeiter verdienen nicht besser als anderswo.
 
Stuttgart - Wie beliebt ist der faire Handel?
Vor vierzig Jahren wurde der erste fair gehandelte Kaffee in Deutschland verkauft. Heute gibt es mehr als 4000 Produkte, die das „Fair-Trade“-Siegel tragen. Die Palette der Waren reicht von Schokolade über Früchte, Blumen und Getränke bis hin zu Sportbällen. Mittlerweile geben die Deutschen für Fair-Trade-Produkte etwa acht Euro pro Jahr aus – stets in dem Glauben, sich damit für einen gerechteren Handel einzusetzen. Verspricht das blau-grüne Siegel doch, dass den benachteiligten Kleinbauern, Plantagenarbeitern und Fabrikarbeitern somit ermöglicht wird, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu sichern. Es wird vom Verein Transfair vergeben – an Produzenten, die bestimmte Kriterien erfüllen: Sie stellen etwa Schutzkleidung zur Verfügung, wenn mit Pestiziden gearbeitet wird. Die Löhne orientieren sich an den Mindestlöhnen oder branchenüblichen Durchschnittslöhnen im Land und an den Lebenshaltungskosten.

Wie gerecht ist der faire Handel?
Eine Studie hat ergeben, dass Fair Trade in Uganda und Äthiopien zumindest für Hilfsarbeiter nicht funktioniert. Vier Jahre lang haben Forscher der University of London die Arbeitsbedingungen von Hilfsarbeitern wie Erntehelfer auf zertifizierten Blumen-, Tee- und Kaffeefarmen untersucht und sie mit der Situation in konventionellen Betrieben verglichen. Ihr Ergebnis ernüchtert: Die Löhne in allen Fair-Trade-Betrieben sind niedriger als in vergleichbaren nicht zertifizierten, sagt Bernd Müller, Mitautor der Studie. „Wir unterstellen Fair Trade nicht, dass die Zertifizierung aktiv zu niedrigen Löhnen beiträgt. Aber wir können mit großer Sicherheit sagen, dass Fair Trade es versäumt hat, für bessere Bedingungen für diese Menschen zu sorgen. Der Verein wird dem eigenen Anspruch, Armut zu reduzieren, nicht gerecht.“ Den Hilfsarbeitern müsste es eigentlich viel besser gehen.
Ein weiterer Kritikpunkt der Studie ist, dass Arbeitern in Fair-Trade-Betrieben häufig der Zugang zu Krankenhäusern, Schulen oder Toiletten und Duschen verwehrt bleibt. Und das, obwohl diese Einrichtungen aus dem Fair-Trade-System bezahlt werden. So erhalten die Kleinbauern für die Finanzierung solcher Projekte extra Prämien. Die Studienautoren sprechen daher von einer Zweckentfremdung der Gelder.
Ist die Kritik berechtigt?
Der Verein Transfair, der das Siegel vergibt, widerspricht der Kritik, räumt aber auch Nachholbedarf ein: So bestätigt der Geschäftsführer Dieter Overath, dass die Lage von Hilfsarbeitern in den zertifizierten Betrieben durchaus verbesserungswürdig ist. Doch bevor man die Ärmsten mehr ins System miteinbeziehen kann, müsse es erst den Kleinbauern besser gehen. Vor allem in Uganda beackern Farmer Felder, die kleiner als ein Fußballfeld seien. „Für ein wirklich gutes Auskommen müssten sie zudem mindestens die Hälfte ihrer Ernte nach Fair-Trade-Bedingungen verkaufen“, sagt Overath – und das über Jahre. Manche Farmen in Uganda setzten aber nur ein Prozent ab. Leben kann davon keiner. „Für eine Steigerung brauchen wir mehr Hersteller, die nach Fair-Trade-Bedingungen einkaufen.“
Unterstützung erhält Transfair vom Dachverband für Entwicklungspolitik Baden-Württemberg, der kritische Studien jedoch grundsätzlich begrüßt. Das Elend der Hilfsarbeiter hängt von den Strukturen im Land ab. „Die Ausgangssituation ist meist für alle schwierig“, sagt DEAB-Mitarbeiterin Elena Muguruza. Kleinbauern fehle es an Maschinen oder der nötigen Infrastruktur, um ihre Waren zu transportieren.
Dennoch reagiert Transfair auf die Kritik und bessert nach: Die Mindestlöhne der Hilfsarbeiter sollen existenzsichernde Löhne werden. Die Höhe werde zurzeit ermittelt. Landarbeiter können sich zudem einen Teil der Fair-Trade-Prämie auszahlen lassen. Overath betont, dass die Arbeiter vor Ort selbst bestimmen, wofür sie das Geld verwenden. „Wir kontrollieren, ob die Entscheidung auf der Mehrheit beruht oder dass die Gelder nicht versickern.“
Was kann der Verbraucher tun?
Aus Sicht von Verbraucherschützern kann der Verbraucher sich derzeit nicht sicher sein, ob er den Kleinbauern und den Hilfsarbeitern wirklich hilft, wenn er Fair-Trade-Produkte kauft. „Die Studie zeigt, dass es unmöglich ist zu überprüfen, was ein Kauf im Produktionsland wirklich bewirkt“, sagt Eckhard Benner von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. „Einem Produkt sieht man nicht an, ob und wie der Preisaufschlag bei den Erzeugern ankommt.“ Die Standards, nach denen die Arbeitsbedingungen und die Lohnhöhe überprüft werden, legt jede der internationalen Dachorganisationen des fairen Handels für sich selber fest. Von außen sind diese kaum zu überprüfen. „Die Organisationen versprechen zwar, dass jemand die Einhaltung der Standards kontrolliert“, sagt Benner. Es fehlt aber an einem tatsächlich unabhängigen Blick hinter die Kulissen.“ Das müsse sich ändern. „ Fairer Handel muss ähnlich wie Bio gesetzlich festgelegt werden“, sagt Benner. „Die Verbraucher können die Politik auffordern, endlich für klare Regeln zu sorgen. Das hilft den Armen langfristig und nachhaltig.“
Welche wirtschaftliche Bedeutung hat der faire Handel?
Der Umsatz der zertifizierten Produkte steigt von Jahr zu Jahr. 2013 lag er bei knapp 654 Millionen Euro. Das ist ein Plus von 23 Prozent zum Vorjahr. Kaffee, Blumen, Südfrüchte und Textilien machen mehr als drei Viertel des Umsatzes aus. Nur in Deutschland kommt es nur schleppend in Gang: Noch kaufen die Bundesbürger lieber Tafeln mit lila Kühen drauf und trinken Kaffee aufgebrüht aus kleinen Aludöschen, statt aus fairem Handel. So beträgt der Anteil von Fair-Trade-Bohnen am deutschen Kaffeemarkt gerade mal 2,1 Prozent. Kakao hat einen Marktanteil von 0,2 Prozent.
Der Preis für Rohstoffe, der im fairen Handel gezahlt wird, liegt über dem Weltmarktpreis und kommt bei den Produzenten an, sagt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Die Preisberechnung sei jedoch kompliziert. Ein Kaffeeproduzent erhält etwa 17 Prozent des Endpreises, im konventionellen Handel seien es nur etwa sechs Prozent. Für viele Produzenten seien aber auch Leistungen wichtig, die ihnen der faire Handel bietet: Oft erhalten sie erstmals Zugang zu Exportmärkten, können sich auf langfristige Handelsbeziehungen verlassen oder ihre Ernte vorfinanzieren lassen.