Die Stadt Marbach startete 1906 mit ihrer elektrischen Straßenbeleuchtung. Die meisten der insgesamt 55 Lampen liefen nur in der halben Nacht.
Seit gestern Abend erstrahlt unsere Stadt im Glanze elektrischen Lichts“ – diese frohe Kunde vermeldete das Marbach Lokalblatt „Postillon“ vor 116 Jahren. Kurz vor Weihnachten, am 20. Dezember, wurde von der bisherigen Petroleumbeleuchtung, „die übrigens in letzter Zeit sehr zu wünschen übrig ließ“, auf die moderne Elektrizität umgestellt.
Energiesparen – das Gebot der Stunde – war somit schon Anfang des 20. Jahrhunderts angesagt, das zeigt ein Blick ins Marbacher Stadtarchiv. Von den 55 Straßenbeleuchtungslampen liefen die meisten nur „halbnächtig“, also nicht die ganze Nacht durch, wie in der städtischen Akte von anno dazumal zu lesen ist. Ein Marbacher Bürger überließ diese 60 Jahre später dem damaligen Bürgermeister Hermann Zanker, „um sie der Vernichtung zu entziehen“. Er schrieb im Dezember 1967: „Nur zwölf Lampen waren ganznächtige. Kein Verkehr musste beleuchtet werden. Vor Kriminellen bestand keine Furcht. Wer spät umherschwirrte, fand auch bei Nacht heim und – Amor-Paare hatten es leichter, ungesehen zu sein.“
Wurde also damals schon Strom gespart? „Davon gehe ich aus“, sagt der Marbacher Stadtarchivar Albrecht Gühring. „Die Leute waren im Bett, es war eh keiner unterwegs – man brauchte keine Straßenbeleuchtung.“
In den Straßen wurde die neueste Art von Lampen, die Osramlampe, installiert. Der Marktplatz war „fast thaghell“, hieß es im „Postillon“. In Bälde, so erfuhren die Leser, sollten auch die Hausanschlüsse erfolgen. Vorreiter war am Abend des 19. Dezember 1906 das beleuchtete Gasthaus Schillerhof in der Stadtmitte. Statt der 39 Öllampen brannten in den Marbacher Straßen nun 55 elektrische Lampen, „deren Einrichtung immerhin 6162,65 Mark gekostet hatte“, schreibt Albrecht Gühring in seinem Buch über die Stuttgarter Kraftwerke in Marbach.
Dass die Elektrizität von 1906 an überhaupt in Marbach eingesetzt wurde, löste zuvor Diskussionen aus. Das Elektrizitätswerk war zwar längst da, aber der Strom floss nach Stuttgart. Auch eine Gasversorgung wäre möglich gewesen, „wohl weil Leuchtgas am Ort hergestellt werden konnte und man nicht auf auswärtige Lieferanten angewiesen war“, schreibt Hermann Schick in „Geschichte der Stadt Marbach am Neckar“. In der Zeitung wurden die Vor- und Nachteile beider Energiearten lebhaft diskutiert, eine „Flammenzählung“ ergab den Bedarf von 1207 Flammen und 187 Koch- und Heizapparaten. „Die geringeren Betriebskosten, die größere Helligkeit und die Verwendbarkeit zum Kochen ließen das Gas für die wirtschaftlich Schwachen günstiger erscheinen“, schreibt Schick. „Aber Gas war ungeeignet zur Beleuchtung von Ställen, als auch als Antriebskraft von Motoren war es nicht so gut verwendbar.“
Ein Beitrag im „Postillon“ fragte denn auch, ob wegen fünf bis zehn Mitbürgern, die Strom für Motoren und zur Stallbeleuchtung wünschten, mindestens 200, die solche Ansprüche nicht hätten, auf hell beleuchtete Wohnräumen und die Vorteile der Koch- und Heizapparate verzichten sollten. Die Verhandlungen zogen sich hin, erst im Frühjahr 1906 wurde der Stromlieferungsvertrag unterzeichnet.