Schön anzusehen, aber nicht profitabel: die Streuobstwiesen sind gefährdet. Foto: Jehle

Die Streuobstinitiative Karlsruhe feiert Jubiläum: 280 Erzeuger pflegen rund 1100 Grundstücke. Die Staatssekretärin Gurr-Hirsch klagt: 80 Prozent der Streuobsthochstämme gelten als vergreist.

Karlsruhe - Die Streuobstwiese ist vielerorts noch ein prägendes Element der Kulturlandschaft. Doch die Intensivierung der Landwirtschaft bedroht sie: 9,6 Millionen Apfel- und Birnbäume gebe es derzeit noch im Südwesten, täglich würden 300 Hochstämme „sterben“, sagte die Staatssekretärin im Ministerium für Ländlichen Raum, Friedlinde Gurr-Hirsch, bei einer Veranstaltung aus Anlass des Jubiläums „20 Jahre Streuobstinitiative“ im Stadt- und Landkreis Karlsruhe.

„In vielen Gebieten sind bis zu 80 Prozent der Bäume vergreist“, klagte die CDU-Politikerin. Bäume, die man nicht schneide und die für die Bauern als unrentabel gälten, würden gefällt. Die Folge sei eine „ausgeräumte Landschaft“. Doch es sei wichtig, „diese Form architektonischer Gestaltung von Landschaft“ zu erhalten.

Zwölf Millionen Obstbäume

Obsthochstämme stehen laut der Staatssekretärin zurzeit auf etwa 116 000 Hektar Wiese im Land. Vor rund 25 Jahren habe es in Baden-Württemberg noch zwölf Millionen Bäume auf einer Fläche von fast 180 000 Hektar gegeben. Gurr-Hirsch, die Landtagsabgeordnete des Wahlkreises Eppingen ist, räumte bei der Veranstaltung ein, selbst „mit solchen Streuobstflächen gesegnet zu sein“. Sie forderte „gemeinschaftliche Lösungen für kleine Streuobstwiesenbesitzer“, die nicht landwirtschaftlich tätig seien, damit diese Maschinen auch in Wohngebieten einsetzen könnten.

Die Karlsruher haben diesen Weg schon vor 20 Jahren eingeschlagen: Sie haben im Mai 1996 die Streuobstinitiative Karlsruhe gegründet. Landesweit gibt es nach Angaben des Naturschutzbundes (Nabu) Baden-Württemberg 15 weitere solcher Initiativen, in der Region Stuttgart beispielsweise in Göppingen, Böblingen und in Nürtingen (Kreis Esslingen).

Einen übergreifenden Ansatz etwa praktiziert das vor vier Jahren aus der Taufe gehobene Schwäbische Streuobstparadies. Mit Aktionen wie „Das Paradies brennt“, die den hochprozentigen Produkten der Obstwiese gewidmet sind, oder mit Streuobstbörsen, die Stücklesbesitzer und Obstverwerter zusammenbringen, wird ein Bewusstsein für den Wert des Kulturlandschaftsgürtels zwischen der Schwäbischen Alb und dem Neckar geschaffen. Die Wiesen dort bilden mit ihren 1,5 Millionen Obstbäumen auf rund 26 000 Hektar Fläche eine der größten zusammenhängenden Streuobstlandschaften in ganz Europa.

Streuobstpädagogen und Streuobstkönigin

Auch im Kreis Böblingen fördert die Kreisverwaltung seit vielen Jahren die Streuobstwiesenbesitzer. Man leistet sich sogar eine Schule, die Streuobstpädagogen ausbildet. Und seit zwei Jahren gibt es eine Streuobstkönigin, um Aufmerksamkeit für die bedrohte Kulturlandschaft zu wecken.

In Karlsruhe bearbeiten derzeit 280 Vertragsteilnehmer etwa 1100 Grundstücke auf 170 Hektar Fläche, auf denen 13 000 neue Bäume gepflanzt wurden. Jährlich würden laut dem Geschäftsführenden Vorsitzenden der Initiative, dem Kreisökologen beim dortigen Landratsamt, Hans-Martin Flinspach, rund 300 000 Liter Apfel- sowie 40 000 Liter Birnensaft produziert. Im vergangenen Jahr erhielt die Karlsruher Initiative den Landesnaturschutzpreis.

Die Früchte bringen nichts mehr ein

„Jeder Liter Billigsaft kommt uns teuer zu stehen in der Kulturlandschaft“, sagte Flinspach. „Das Bücken nach dem Obst hat sich vielerorts nicht mehr gelohnt“. In Karlsruhe stützt man den den Preis und versucht so, Besitzer von Wiesen zur Erhaltung zu ermuntern: Schon von Anfang an habe es garantierte Mindestabnahmepreise für die Erzeuger gegeben, sagte Flinspach. Es gelte seit einigen Jahren das Prinzip „des doppelten Marktpreises“, der bei maximal 20 Euro für den Doppelzentner gedeckelt sei. Zum Vergleich: die Firma Streker Natursäfte in Aspach (Rems-Murr-Kreis) bezahlt laut der Geschäftsführerin Petra Streker sieben bis 20 Euro pro Doppelzentner. Dieser Preis schwanke allerdings je nach Anforderung an den Lieferanten: den Höchstpreis von 20 Euro bekämen nur biozertifizierte Obstbauern.

Streuobstwiesen sind nicht nur wichtig für das Landschaftsbild. Laut Gurr-Hirsch werden in extensiv genutzten Streuobstbeständen mehr als 5000 Tier- und Pflanzenarten gezählt. Im nördlichen Kreis Karlsruhe bei Dettenheim wird beispielsweise versucht, Steinkäuze auszuwildern.