Streuobstwiesen wie hier in Aspach sind anerkanntes immaterielles Kulturerbe. Foto: Gottfried Stoppel

Streuobstwiesen sind wertvoller Lebensraum für Pflanzen und Tiere, aber auch Erholungs- und Freizeitraum. Wer hier etwas errichten oder sanieren will, sollte vorher checken, was legal ist – sonst ist Ärger programmiert.

Am Ortsrand von Aspach-Rietenau summen die ersten Bienen, irgendwo trillert ein Gartenrotschwänzchen. „So soll eine Streuobstwiese aussehen“, sagt Jochen Schäufele, der Leiter des Amts für Umweltschutz im Rems-Murr-Kreis, während er seinen Blick zwischen den Bäumen schweifen lässt.

Einst waren Streuobstwiesen für die Landwirtschaft und für die Selbstversorgung der Menschen ein wichtiger Tragpfeiler. Sie produzierten mehrmals im Jahr Futter für das Vieh, das Obst aß man selbst oder verkaufte es zu guten Preisen weiter. Doch das Ansehen der Wiesen änderte sich im Lauf der Jahrzehnte. 1953 hieß es im sogenannten Emser Beschluss des Bundesernährungsministeriums gar: „Für Hoch- und Halbstämme wird kein Platz mehr sein. Streuanbau, Straßenanbau und Mischkultur sind zu verwerfen.“ Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, Effizienz hatte Vorrang vor Landschafts- und Artenschutz. Die Rodung von Hochstämmen wurde sogar von der Europäischen Gemeinschaft gefördert.

Das machte sich in der Folge auch zunehmend in der Landschaft bemerkbar: Der Naturschutzbund Nabu etwa schätzt, dass die Streuobstbestände in Deutschland binnen eines halben Jahrhunderts von 1,5 Millionen Hektar Fläche auf ein Drittel davon zurückgingen. Wer heute noch Streuobst anbaut, tut dies meist aus Leidenschaft und nicht zum Broterwerb. „Der wirtschaftliche Nutzen des Streuobstes ist gering, wenn man es in Relation zum Arbeitsaufwand setzt“, erklärt Michael Stuber, der Leiter des Landwirtschaftsamtes im Landratsamt Rems-Murr-Kreis.

Viel altes Wissen aus dem Streuobstbau ging in der Vergangenheit verloren. Immerhin: die Streuobstwiesen werden inzwischen auch von den Behörden als schützenswert eingestuft. Schließlich sind sie nicht nur hübsch anzusehen, sondern bieten auch jeder Menge Pflanzen- und Tierarten einen Lebensraum. „Den Wendehals und den Halsbandschnäpper kann man bei uns zum Beispiel ausschließlich in Streuobstwiesen finden“, erklärt Jochen Schäufele.

Streuobstwiesen erlebten unter Corona ein Comeback

Arbeit machen die Wiesen und die Bäume nämlich jede Menge. Um die Flora und Fauna zu erhalten, muss die Wiese ab und zu gemäht werden – sonst wird das Biotop irgendwann zur Brombeerhecke. Und auch die Bäume brauchen Pflege, also regelmäßigen, richtigen Schnitt und Schutz vor Misteln. „Diese können einem Baum so viel Energie rauben, dass es eingeht. Sie stehen übrigens auch nicht unter Naturschutz, wie viele Leute denken“, sagt Schäufele.

Zur Coronazeit hat das gute alte „Stückle“ dann ein gewisses Comeback erlebt; vor allem als Ort der Erholung, der Freizeit und der Selbstentfaltung. Das bringt immer wieder ein Dilemma mit sich. Denn einerseits sind auch die Behörden froh um jeden, der sich um das Kulturerbe Streuobstwiese kümmert. Doch gleichzeitig geht die Selbstentfaltung ihnen gelegentlich zu weit: „Manche Besitzer sanieren alte Geschirrhütten so aufwendig, dass es schon ein Neubau ist, oder sie legen gar Terrassen an. Das ist definitiv zu viel des Guten“, sagt Schäufele.

Auch beim Fällen von Bäumen müssen Besitzer aufpassen: Einfach zur Säge greifen und einen Baum zerlegen, ohne einen neuen zu pflanzen, sei nicht erlaubt. „Wenn wir mitbekommen, dass so etwas geschieht, ahnden wir das auch“, betont Schäufele. Immer wieder bekämen die Behörden auch Hinweise aus der Bevölkerung auf unerlaubte Hütten oder Rodungen. Dass die Wut über die Vorschriften oft groß sei, verstehe er durchaus: „Für viele ist so ein Stückle ja ein Lebenstraum.“ Er rät den Besitzern daher dringend, sich im Vorfeld mit den Behörden darüber abzustimmen, was legal ist und was nicht. „Sonst investiert man doch Zeit und Geld und hat hinterher Ärger, wenn man es zurückbauen muss.“ Denkbar sei es auch, dass sich Besitzer beim leidigen Thema mit den Geschirrhütten, die für die Bewirtschaftung nötig sind, zusammentun und, unterstützt von der jeweiligen Kommune, gemeinsam eine Lösung finden.

Ein bedrohtes Refugium

Baden-Württemberg
 Das Land weist laut dem Landwirtschaftsministerium die „bedeutendsten Streuobstbestände in Europa“ auf. Seit dem März 2021 ist der Streuobstanbau von der Unesco weltweit als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Jedoch sind die Bestände der Streuobstwiesen seit Jahrzehnten rückläufig. Beim derzeitigen Mostobstpreis von 6 bis 8 Euro pro hundert Kilogramm ist die Bewirtschaftung von Streuobstwiesen für Besitzer nicht gewinnbringend. Prämien des Landes wie die Schnittprämie von 15 Euro pro Baum ändern daran nur wenig – und verursachen zudem einen hohen bürokratischen Aufwand.

Artenreichtum
 Streuobstwiesen bieten vielen, oft seltenen Pflanzen und Tieren einen Lebensraum. Eine regelmäßige Mahd vorausgesetzt, bieten sie Insekten ein Zuhause, welche Nahrungsgrundlage für viele teils geschützte Vogelarten sind. Beispielsweise den Wendehals, Spechte, Neuntöter oder Steinkauz.