Videointerview an der Hauptradroute I im Schlossgarten: Radlerin Anna-Lena Lux mit Fußgänger Peter Erben (re.) und Redakteur Tom Hörner Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Sind Fußgänger Freiwild für Radler? Im Unteren Schlossgarten in Stuttgart haben sich die Radfahrerin Anna-Lena Lux und der Fußgänger Peter Erben zu einer Diskussion getroffen. Sie waren nicht immer einer Meinung waren, aber sich am Ende doch grün.

Stuttgart - Erfahrung kann man sich auch erfahren. Wer drei- bis viermal die Woche mit dem Fahrrad von Zuffenhausen in die Innenstadt fährt, der kann was erzählen. Wie Leserin Anna-Lena Lux. Scherzfrage zum Einstieg unserer Diskussion im Unteren Schlossgarten: Wie oft nimmt sie dabei Fußgänger aufs Korn? Zum Glück keinen.

Aber Konflikte, sagt die junge Frau und Mutter, gebe es immer wieder. Nicht weil Anna-Lena Lux sich als Kampfradlerin versteht, die ohne Rücksicht auf Verluste durch die Gegend strampelt. Sondern weil es manchmal einfach eng wird, zumal wenn sie auf Routen abseits der großen Autostraßen ausweicht. „Mindestens einmal die Woche schimpft ein Fußgänger“, sagt sie.

Peter Erben vertritt das Fußvolk

Etwa an der Haltestelle Budapester Platz unterhalb des Nordbahnhofviertels, das sei so ein Nadelöhr ohne Ausweichmöglichkeit. Was wundert, da die Verkehrsführung hier nicht alt ist. Peter Erben kennt solche Stellen zuhauf in der Stadt. Auch er ist mit dem Rad zu unserem Interview aus der Videoreihe Tête-à-Tom gekommen, aber eigentlich ist er da, um als Mitglied von Fuß e. V. das Fußvolk zu vertreten. Und das macht er. Im Zweifel, sagt Erben, muss der Radler eben anhalten, absteigen und schieben. Auch wenn die Schuldigen für solche Zusammentreffen woanders zu suchen sind, etwa in der Stadtverwaltung oder beim Land: „Konfliktsituation entstehen nicht selten dadurch, dass die Infrastruktur nicht stimmt.“ -

Das Geschrei machen die Gänse

Es geht bisweilen recht laut zu bei der zweiten Videodiskussion für unsere Reihe „Radort Stuttgart“. Was jetzt weniger an den beiden Diskutanten liegt, die zivilisiert ihre Argumente austauschen, sondern an den Gänsen auf dem Gewässer unterhalb des Rosensteinparks. Gleichwohl sind sich Anna-Lena Lux und Peter Erben nicht in jedem Punkt einig, etwa wenn es um die Funktion des Schlossgartens geht, dieser weitläufigen Parkanlage, die sich vom Schlossplatz bis zu den Berger Sprudlern erstreckt.

Der Park gehört in erster Linie den Fußgängern

So ein Park, meint Erben, sei eine Sonderform. Hier müsse das Bedürfnis der Fußgänger Vorrang haben. „Ich wünsche mir, dass hier alle rücksichtsvoll unterwegs sind. Ein Fußgänger darf im Park auch mal abschalten können, ohne ständig auf Radler achten zu müssen.“

Er habe kein Problem, wenn hier morgens jemand um sechs schnell mit dem Rad durchmüsse, das habe er auch schon getan. Doch an sonnigen Tagen wie diesen müssten Radfahrer, die dringend wo hinmüssten, „ihren Weg halt außerhalb des Parks suchen“. Ganz so will Anna-Lena Lux das nicht stehen lassen. Klar, dass man hier nicht mit dem Fahrrad durchbrause, wenn die Wege bevölkert seien. Doch in einer großen Anlage wie dieser müsse es möglich sein, dass man einen Weg schaffe, auf dem Radfahrer den Vorrang hätten.

Und dann bringt sie den Höhenpark Killesberg ins Spiel, in dem nur Kindern das Radeln erlaubt sei. Sie als Radfahrerin müsse auf den „saugefährlichen Radweg“ auf der Stresemannstraße ausweichen, wo man an parkenden Autos vorbeimüsse und nie sicher sein könne, dass im nächsten Moment eine Autotür aufgehe.

Radler werden auf gefährliche Wege abgedrängt

Und dann das leidige Thema: Soll man als Radler klingeln oder nicht klingeln, wenn man sich Fußgängern nähert. Eine schwierige Entscheidung, meint Anna-Lena Lux, bei der man es nie allen recht machen könne. „Manche schimpfen, wenn man klingelt. Manche, wenn man es nicht tut.“

Und bei Menschen mit Knöpfen in den Ohren sei das eh sinnlos. Fußgänger Erben ist es „prinzipiell lieber, wenn ein Radfahrer klingelt“. Aber es sollte halt aus größerer Entfernung passieren. „Da ist die Sensibilität des Radlers gefragt.“ Wenn man die Leute erschrecke und diese panisch auswichen, sei das Gegenteil von dem erreicht, was beabsichtigt sei.

Radlerin bemängelt lasche Kontrollen

Interessanterweise ist es gerade die Radfahrerin, die die Straßenverkehrsordnung und zu lasche Kontrollen ins Spiel bringt – gegenüber Radlern, aber auch gegenüber Fußgängern.

In Münster/Westfalen, wo sie eine Zeit lang gelebt habe, sei es völlig klar: Wer mit dem Fahrrad verbotenerweise durch eine Fußgängerzone fahre, der müsse mit einem Strafzettel rechnen. In Stuttgart habe sie so was noch nie erlebt. „Weder dass jemand von der Polizei angesprochen wird, noch dass er ein Knöllchen bekommt.“ Es herrsche „ein absolutes Vollzugsdefizit“, das habe sie so in noch kaum einer anderen Stadt erlebt. Zustimmendes Nicken bei Peter Erben.

Versöhnliches Schlusswort

Das versöhnliche Schlusswort in einer lebendigen Debatte gebührt dem Vertreter des Fußvolks. Erben stellt unmissverständlich klar: „Fußgängerinnen und Radfahrerinnen sind natürlich Verbündete.“ Beide hätten sich für eine nachhaltige Mobilitätsform entschieden, die zudem noch gesund sei. „Das ist unbedingt zu fördern. Es kann nicht sein, dass man die beiden Gruppen gegeneinander aufbringt.“ Kein Widerspruch. Nicht mal von den Gänsen ist was zu hören.