Uefa-Präsident Michel Platini Foto: dpa

DFB-Kapitän Lahm fordert die Uefa in Sachen Ukraine zum Handeln auf. Präsident Platini wehrt sich.

Nyon - Die anstehende Fußball-EM hat zuletzt für heftige Debatten über die politische Situation im Co-Gastgeberland Ukraine gesorgt. Vor allem der Umgang mit der inhaftierten früheren Regierungschefin Julia Timoschenko wurde teilweise heftig kritisiert. Zahlreiche Politiker wollen keine Spiele in der Ukraine besuchen. Auch DFB-Kapitän Philipp Lahm meldete sich zu Wort und forderte eine klare Positionierung von UEFA-Präsident Michel Platini. Der Chef der Europäischen Fußball-Union weist das im Interview zurück und verteidigt seine Linie.

Monsieur Platini, allmählich wird es ernst. Nur noch wenige Tage bis zum Start der Fußball-EM in Polen und der Ukraine. Sind die Vorbereitungen abgeschlossen, kann das Turnier endlich losgehen?

Ja, alles ist bereit. Die Dinge gehen gut voran. Wir sehen keine großen Probleme mehr. Die Menschen in Polen und der Ukraine wollen unbedingt zeigen, dass sie eine hervorragende EURO organisiert haben. Für die beiden Länder ist das Turnier von großer Bedeutung.

Wann waren Sie zuletzt in Polen und der Ukraine?

Das war so Mitte April.

Und wie war Ihr Eindruck? Wollen die Menschen nun gerade nach den ganzen Negativ-Schlagzeilen der jüngeren Vergangenheit der ganzen Welt zeigen: Wir werden gute Gastgeber sein?

Sie wissen ja gar nicht so recht, was sie erwartet. Das war eines der Probleme von Anfang an, dass sie noch nie solch eine Veranstaltung organisiert haben. Um die Infrastruktur haben sie sich selbst gekümmert. Aber für Dinge wie Management und Organisation brauchen sie Hilfe und Experten, die sie unterstützen.

Zwischendurch waren auch Ihre Zweifel an der ersten EM im ehemaligen Ostblock groß. Die Uefa hat mehrmals die Gelbe Karte gezeigt.

Die beiden Länder sind die einzigen, die jemals zwei Gelbe Karten bekommen haben und nicht gleich die Rote Karte. Aber wir wissen doch, wie es ablaufen wird. Wie bei allen Welt- und Europameisterschaften. Der erste Tag wird schwierig, am zweiten wird es besser, und am dritten ist es gut.

Also wird wirklich alles gut?

Das Turnier wird nicht nur wichtig für den Fußball, die Uefa, Europa, sondern auch für Polen und die Ukraine. Das ist auch eines der Ziele. Die EURO wird irgendwann zu Ende sein, aber all die neuen Straßen und Flughäfen werden bleiben.

Zuletzt sorgte eigentlich nur die Debatte über die politische Situation in der Ukraine für Schlagzeilen. Auch DFB-Kapitän Philipp Lahm meldete sich zu Wort und forderte klare Worte von Ihnen.

Herr Lahm ist nicht mein Chef. Er hat von mir nichts zu fordern. Er ist Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, nicht Kapitän der Uefa.

Aber ist es nicht auch seine Pflicht oder sein gutes Recht als mündiger Profi, eine klare Position der Uefa zu verlangen?

Er kann sagen, was er will. Das ist mir egal. Ich sage immer: Jeder hat sein Aufgabengebiet auszufüllen. Auch die westlichen Politiker beispielsweise. Sie haben nicht gesagt, dass sie die EM boykottieren wollen. Sie haben gesagt, dass sie nicht dorthin reisen werden. Und das sind die gleichen, die vor vier Jahren gesagt haben, wie toll es ist, dass wir uns Polen und der Ukraine öffnen.

Und die Uefa kann sich jetzt komplett raushalten?

Wir haben genauso unsere Aufgabe. Und dazu gehört, dass wir uns nicht in politische oder religiöse Belange einmischen. Wir weisen die Regierungen auf die Probleme hin, die es rund um die EM gibt. Aber ich mache keine Politik, ich mache Fußball. Wenn ich Politik machen wollte, würde ich in die Politik gehen.

Machen Sie es sich damit nicht zu einfach? Könnte nicht ein klares Statement des Uefa-Präsidenten helfen?

Wir haben die Behörden auf die Bedenken hingewiesen. Wir hatten Sitzungen und haben gesagt: "Hört zu, es gibt in Europa Probleme und große Sorgen wegen Frau Timoschenko." Aber die Reaktion ist klar: "Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram. Das ist nicht Ihr Zuständigkeitsgebiet, das ist ein Problem der ukrainischen Justiz."

Trotzdem: Wäre nicht ein Machtwort von Ihnen hilfreich gewesen?

Wie gesagt, ich bin kein Politiker. Wir haben sie auf viele Dinge hingewiesen. Auf Ticketpreise, auf alle möglichen Sachen. Was sollen wir noch machen?

Sie meinen, dass Ihr Einfluss damit endet?

Dann ist es nur noch Blablabla. Ich sage Ihnen mal was: Ich war bei der WM 1978 dabei. Wir hatten uns erstmals seit zwölf Jahren qualifiziert. Das war ein großartiger Erfolg. Dann kamen all die Intellektuellen und Politiker und sagten, ihr dürft nicht nach Argentinien reisen, weil dort die Generäle das Sagen haben. Ich habe gefragt: Wer? Ich war Anfang 20. Ich war über die Situation nicht auf dem Laufenden. Da habe ich gesagt: 'Ihr habt gefordert, dass wir uns qualifizieren sollen und jetzt fordert ihr, dass wir nicht mehr hinfahren sollen?" Daraus habe ich gelernt: Wir spielen Fußball. Dann muss man vorher an solche Dinge denken.

Wie meinen Sie das?

Deutschland hat doch damals auch für die Ukraine gestimmt. Also muss man die Wahl auch akzeptieren. Wenn jetzt einige nicht in die Ukraine kommen wollen, kommen sie nicht. Wenn sie kommen, kommen sie. Ich mache keine Politik, ich organisiere die EURO. Für anderes ist es jetzt zu spät.

Hat Ihr Freund Wolfgang Niersbach, der neue DFB-Präsident, Sie bezüglich dieser Diskussion angerufen?

Ja. Er hat gefragt, was wir tun werden. Ich habe ihm gesagt: Hör zu, Wolfgang. Ich kann keine Politik machen. Wir werden ein Kommuniqué veröffentlichen und die Behörden auf die Probleme, insbesondere im Umgang mit Frau Timoschenko, hinweisen.

Wie intensiv haben Sie die politischen Diskussionen gerade in Deutschland verfolgt?

Ich weiß, dass der Druck auf den DFB und Wolfgang groß war. Deutschland kann natürlich eine Position einnehmen. Die Uefa kann eine andere Position einnehmen. In Deutschland sind die Strukturen anders. Wir sind neutral und unabhängig. Ich glaube nicht, dass Russland es beispielsweise hinnehmen würde, dass ich etwas über die Ukraine sage. Die Länder im Osten haben vielleicht andere Probleme als Deutschland, Spanien oder Italien. Aber ich bin Präsident von 53 Verbänden, nicht nur Präsident der Deutschen.

Denken Sie dennoch für künftige Bewerbungsprozesse an die Einführung eines Minimum-Standards für Menschenrechte in den jeweiligen Ländern?

Ich kann Ihnen die damaligen Reaktionen zeigen, als die EM an Polen und die Ukraine vergeben wurde. Alle haben applaudiert und die Öffnung zum Osten begrüßt. Jetzt sind sie nicht zufrieden mit der politischen Situation im Land. Es liegt nicht in meiner Verantwortung, dass Frau Timoschenko im Gefängnis ist. Das ist Sache der ukrainischen Justiz.

Kann man sich solche Debatten nicht künftig ersparen und sagen: Wenn ein Land die EURO haben will, muss es gewisse Standards erfüllen?

Am Anfang waren alle zufrieden mit der Wahl. Und was machen wir, wenn eine Regierung wechselt? Nehmen wir das Turnier dann aus politischen Gründen wieder weg? Schwierig, schwierig.

Also keine festgeschriebenen Standards für Menschenrechte?

Nein. Die Mitglieder des Exekutivkomitees müssen nach ihrem besten Wissen und Gewissen wählen. Sie sind es, die das entscheiden. Ich habe nur eine Stimme, ich habe damals nicht für Polen und die Ukraine gestimmt, ich habe für Italien gestimmt. Dort wäre es jetzt wahrscheinlich wegen der Krise auch nicht viel leichter... (lacht).

Und nächstes Mal wählen Sie die Türkei?

Wenn sie sich bewerben, werde ich für die Türkei stimmen und ich werde mich dafür einsetzen, dass die Türkei den Zuschlag erhält. Aber nur, wenn es 2020 dort keine Olympischen Spiele gibt.