Bei den Protesten gegen ein Theaterstück zum Völkermord an Armeniern hat der betroffene Intendant aus Konstanz Hilfe aus der Politik vermisst – insbesondere von Integrationsministerin Öney.
Stuttgart/Konstanz - Im Konflikt um ein Theaterstück über den Völkermord an Armeniern hat der Intendant des Konstanzer Stadttheaters, Christoph Nix (59), Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) scharf angegriffen. „Die kümmert sich um gar nichts“, sagte er unserer Zeitung. „Wenn es schon eine Ministerin mit türkischem Migrationshintergrund gibt, kann man erwarten, dass die sich das Stück auch mal anschaut“, sagte er. „Das ist doch ihr Job, dass sie sich zu solchen Konflikten in irgendeiner Weise verhält, sonst brauchen wir das nicht.“
Gegen das Stück mit dem Titel „Das Märchen vom letzten Gedanken“ hatte es sowohl im Vorfeld als auch bei der Premiere vor drei Wochen Proteste von türkischer Seite gegeben. Der türkische Generalkonsul in Karlsruhe bezeichnete die Aufführung und insbesondere die Verwendung des Begriffs „Völkermord“ in einem Brief an Dix als „überaus unglücklich“ und verlangte die Verlesung seines Schreibens vor jeder Vorstellung. Um die Gemüter zu besänftigen, las Nix das Schreiben auch tatsächlich vor – allerdings nur am Premierenabend.
Der Brief des Generalkonsuls wurde zudem – wie von ihm gewünscht auf die Homepage des Stadttheaters (www.theaterkonstanz.de) gestellt. Dort steht auch eine Reaktion des Zentralrats der Armenier in Deutschland, in der die Forderungen des Generalkonsuls als „illegitime Einmischung eines fremden Staates in das kulturelle Leben Deutschlands“ bezeichnet werden.
Der Sprecher Öneys wies die Kritik von Nix zurück: „Bilkay Öney ist Ministerin für Integration – nicht Kultur – oder Außenministerin“, erklärte er. Die Ministerin pflege gegenüber Kunst und Kultur die Neutralität, die die Verfassung von der Politik verlange. „Wir verstehen deshalb nicht, weshalb sich Herr Nix eine Einmischung von ihr wünscht“, so Öneys Sprecher.
Wie Nix weiter sagte, sei im Zuge der Proteste sein E-Mail-Konto offenbar gezielt zerstört worden. „Ich habe deshalb Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt.“
Das Stück wird noch bis Ende April aufgeführt. Nach Angaben der Verantwortlichen sind die Zuschauerzahlen enttäuschend, was auch an den Demonstrationen liege und dem Polizeischutz, unter dem das Stück in den ersten Tagen aufgeführt werden musste: „Das Problem für uns ist, dass die Abonnenten Angst gekriegt haben und nicht hingegangen sind“, sagte Dix. Die Dramaturgin des Stücks, Laura Ellersdorfer, erklärte: „Für mich ist etwas frustrierend, dass die, die protestiert haben, größtenteils nicht in die Aufführung gekommen sind.“ Zudem seien die Abonnenten von den Demos abgeschreckt worden. „Unser Verkauf ist nicht so gut. Es sind viele Karten zurückgegeben worden“, sagte Ellersdorfer.
Auslöser der Proteste war nach Angaben der Kritiker weniger das Stück selbst als vielmehr das Plakat, mit dem es beworben wurde. Es zeigte einen zugedeckten Toten. Darüber wehte die türkische Flagge, und Ministerpräsident Erdogan wurde mit den Worten zitiert: „In unserer Geschichte wurde kein Völkermord begangen.“
Wegen der Proteste wurden die entsprechenden Plakate zwei Tage vor der Premiere abgehängt und durch schlichte Ankündigungen ersetzt. Intendant Nix wehrte sich auf Anfrage gegen den Vorwurf, die Plakate seien zu provokativ gewesen. „ Provokation ist unser Job“, sagte er, „und das ist uns auch gelungen.“
Die oppositionelle CDU hat in der Angelegenheit eine parlamentarische Anfrage an die Regierung gestellt. Der Landtagsabgeordnete Bernhard Lasotta wirft Öney vor, sie habe eine „gespaltene Haltung“ zum Massenmord an den Armeniern. Dadurch habe die SPD-Politikerin „keine Kraft, mäßigend auf türkisch-nationalistische Gruppen einzuwirken oder die verantwortlichen Kunstschaffenden und die armenische Minderheit ernsthaft zu unterstützen. Sie hat damit erneut integrationspolitisch versagt.“
Hintergrund des Streits sind Geschehnisse vor rund 100 Jahren: Im Ersten Weltkrieg wurden bis zu 1,8 Millionen Armenier aus Ostanatolien vertrieben. Die Osmanen sahen sie als Verbündete des Kriegsgegners Russland an. Laut dem Zentrum gegen Vertreibungen in Wiesbaden kamen bei den Deportationen 1915/1916 fast 1,5 Millionen Menschen ums Leben.
Die heutige Türkei, in der nur noch eine kleine armenische Minderheit lebt, spricht von 200 000 Toten und weist den Vorwurf des Völkermords zurück. Am 24. April gedenken wieder Armenier weltweit der Verhaftung und Ermordung armenischer Intellektueller, die am 24. April 1915 begann und den Völkermord einleitete.
Das Stück wird am Konstanzer Stadttheater bis Ende April noch insgesamt acht Mal aufgeführt. An diesem Sonntag findet zudem eine Podiumsdiskussion statt.
Info: Öney und der Völkermord
Info: Öney und der Völkermord
Historiker sind sich weitgehend einig, dass die Türken an den Armeniern in den Jahren 1915 und folgende einen Völkermord verübten. Der türkische Staat wehrt sich allerdings bis heute gegen den Begriff. In diesem Spannungsfeld muss sich Bilkay Öney (SPD) bewegen, die bereits mit zweieinhalb Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam, gleichwohl bis heute als türkischstämmige Vorzeige-Politikerin gilt und seit drei Jahren Baden-Württembergs erste Integrationsministerin ist.
Gleich zu Beginn ihrer politischen Karriere musste sich Öney mit dem Thema auseinander setzen: Bei einer Kandidatenbefragung vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus wurde sie 2006 nach ihrer Meinung dazu gefragt und sie äußerte sie in dem Sinne, dass es auch nach ihrer Ansicht ein Massenmord gewesen sei. Tags darauf war sie ihren Job beim staatlichen türkischen Fernsehsender TRT los.
Kurz darauf wurde Öney von einer nationalistisch gesinnten, türkischen Journalistin in Berlin interviewt. Ein Ausschnitt davon kann man seit Juni 2012 im Internet auf der Plattform Youtube anschauen. Der CDU-Landtagsabgeordnete Bernhard Lasotta hat sich das Gespräch übersetzen lassen – und sieht sich in seinem Vorwurf bestätigt, dass Öney in der Türkei oft anders redet als in Deutschland.
In dem Interview sagt Öney laut der Übersetzung, dass sie „sehr wenig“ von der Geschichte der Türkei verstehe und eigentlich „kein Recht“ habe, auf die Türkei mit dem Finger zu zeigen. Aber als deutsche Politikerin habe sie nicht die Möglichkeit zu sagen, dass sie den Vorwurf des Massenmords nicht akzeptiere. Sonst wäre sie, so sagt sie sinngemäß, nicht Abgeordnete geworden und könnte dann nicht „die Türken erklären“. Damit die Türkei ein besseres Image in der Frage bekomme, müsse man vielleicht das Spiel nach den Regeln der Deutschen spielen – „so wie ich es gemacht habe“.
Lasotta sieht darin eine Relativierung ihrer ursprünglichen Aussagen. „Dies reiht sich in bedauerlicher Weise in ihre Einlassungen zu vergangenen Themen ein, wie ihren Aussagen zum ,tiefen Staat’ oder den ,Rassismusvorwürfen’ gegenüber der CDU.“ Öney weist dies zurück. In dem Interview bekräftige sie sehr wohl ihre Haltung, dass es einen Massenmord gegeben habe, sagte sie unserer Zeitung. (rai)