Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan Foto: AP

Internationale Wahlbeobachter haben dem Referendum in der Türkei zahlreiche Mängel attestiert. Die Bundesregierung fordert Ankara auf, die Bedenken ernstzunehmen. Die türkische Regierung will davon nichts wissen - und weist Kritik als unzulässige Einmischung zurück.

Istanbul - Nach dem knappen Wahlsieg von Staatschef Recep Tayyip Erdogan beim Verfassungsreferendum in der Türkei eskaliert der Streit um Vorwürfe über Wahlmanipulationen. Der Chef der OSZE-Wahlbeobachter, Michael Georg Link, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, von einer Kooperation der türkischen Regierung zur Klärung der Vorwürfe „kann leider keine Rede sein“. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte am Mittwoch an die Adresse der Wahlbeobachter dagegen: „Ihr könnt nicht in die Türkei kommen und Euch in ihre Politik einmischen.“ Cavusoglu verbat sich jegliche Einmischung Europas und griff besonders die Niederlande scharf an.

Cavusoglu betonte, das Referendum sei „transparent“ verlaufen. Die Feststellungen der Wahlbeobachter - die internationale Standards bei dem Referendum nicht erfüllt sahen - seien „äußerst parteiisch“. „Und so haben sie auch überhaupt keine Geltung und keinen Wert.“ In dem vorläufigen Bericht der Beobachter gebe es „eine Vielzahl an technischen und konkreten Fehlern und da sehen wir eine Absicht dahinter“. Link sagte: „Die jetzt öffentlich vorgebrachten Zweifel an unserer Neutralität sind eindeutig politisch motiviert.“

Die Bundesregierung riet der Türkei dennoch, die Bedenken der internationalen Wahlbeobachter nicht einfach abzutun. Die Regierung in Ankara sei „gut beraten, das ernst zu nehmen, intensiv zu prüfen“, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, in Berlin. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Nach dem Referendum ist jetzt die Zeit gekommen, eine grundlegende Diskussion über die EU-Türkei-Beziehungen zu beginnen, inklusive einer möglichen Neubewertung.“

Nach Protesten gegen den Ausgang des Referendums wurden in der Metropole Istanbul Medienberichten zufolge 38 Menschen festgenommen. Die Polizei sei am frühen Mittwochmorgen in die Häuser der Aktivisten eingedrungen, berichtete die regierungskritische Zeitung „Birgün“. In Istanbul sowie in mehreren anderen Städten in der Türkei waren am Dienstagabend und in den Tagen zuvor Tausende Menschen aus Protest gegen den Ausgang des Referendums auf die Straße gegangen. Sie werfen der türkischen Führung vor, die Wahl manipuliert zu haben und bezeichnen das Ergebnis daher als nicht legitim. Der Wahlkommission werfen die Demonstranten vor, „parteiisch“ zu sein.

Erdogan hatte das Referendum am Sonntag nach dem vorläufigen Ergebnis mit 51,4 Prozent knapp gewonnen. Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates hatten dem Prozess zahlreiche Mängel attestiert. Die Opposition hat eine Annullierung des Referendums beantragt. Die Wahlkommission wollte sich am Mittwoch mit Einsprüchen befassen, denen aber kaum Aussicht auf Erfolg eingeräumt wurde.

Cavusoglu greift den Rechtspopulisten Geert Wilders an

Cavusoglu betonte, kein Land habe das Recht, „sich in ein Referendum in der Türkei einzumischen“. Er fügte hinzu: „Genauso hat die Europäische Union nicht das Recht, eine Ermittlung einzuleiten.“ Besonders scharf griff Cavusoglu den Rechtspopulisten Geert Wilders in den Niederlanden an, wo die Zustimmung zu Erdogans Präsidialsystem bei 71 Prozent gelegen hatte.

Wilders hatte danach gesagt: „Wir müssen dafür sorgen, dass Leute keine doppelte Staatsangehörigkeit mehr haben können, allen voran Türken.“ Cavusoglu erwiderte: „Also die, die beim Referendum in der Türkei „Ja“ gesagt haben, sollen nicht leben, sie sollen ausgebürgert werden, sie sollen ermordet werden. Eine eindeutige Nazi-Auffassung, eine vollkommen faschistische Auffassung.“ Cavusoglu fügte hinzu: „Und kein Politiker in Holland sagt, dass er Unsinn redet. Insofern unterstützen sie ihn, indem sie schweigen.“

Das sei „eine Auffassung, die es nicht einmal in der Nazizeit gegeben hat“, kritisierte der Minister. „Leider steuern viele Politiker in Europa und Kreise in manchen Ländern langsam auf Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg zu. Holland ist auch eins davon.“

Präsident Erdogan wies unterdessen Anschuldigungen zurück, dass er sein Land in eine Diktatur führe. „Haben wir nicht Wahlurnen? Die haben wir“, sagte Erdogan dem Sender CNN. „Wenn Sie sagen, dass die Wahlurne einen Diktator produziert, dann wäre das eine große Grausamkeit und Ungerechtigkeit gegenüber der Person, die gewählt wird. Gleichzeitig wäre das auch eine große Respektlosigkeit gegenüber denjenigen, die an der Wahlurne ihre Wahl treffen. Woher bezieht die Demokratie ihre Macht? Vom Volk.“

Erdogan betonte, das Präsidialsystem, das ihn mit deutlich mehr Macht ausstattet, sei nicht auf seine Person zugeschnitten. „Das ist kein System, das Tayyip Erdogan gehört. Ich bin sterblich, ich könnte jeden Moment sterben.“