In vielen islamischen Staaten rufen die Menschen wegen der Äußerungen des französischen Präsidenten Macron zum Boykott von französischen Waren auf. Foto: AFP/ASIF HASSAN

Europa muss mit kühlem Kopf auf die Hasstiraden des türkischen Präsidenten gegenüber Emmanuel Macron reagieren, meint unser Frankreich-Korrespondent Knut Krohn

Paris - Emmanuel Macron und Recep Tayyip Erdogan pflegen seit Jahren eine herzliche Feindschaft. Der außenpolitische überaus ambitionierte französische Präsident hat mit seiner Kritik an seinem türkischen Kollegen nie hinter dem Berg gehalten. So hat Macron im Konflikt um die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeerraum immer wieder scharfe Warnungen an Erdogan gerichtet. Und zuletzt hat er ihm die massive Einmischung im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Südkaukasus-Region Berg-Karabach zum Vorwurf gemacht.

Erdogan sinnt auf Rache

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Erdogan dem französischen Staatschef öffentlich in die Parade fahren würde. Angesichts der Äußerung Macrons nach dem Mord in Paris an einem Lehrer, dass sich der Islam in einer Krise befinde, schien dem türkischen Präsident die Gelegenheit zur Rache gekommen.

Doch offenbaren die wütenden Angriffe auf den französischen Präsidenten vor allem die Schwäche Erdogans. Denn seine hässlichen Tiraden sind nichts weiter als Ablenkungsmanöver: vom Versagen im Kampf gegen das Corona-Virus im eigenen Land, dem Absturz der türkischen Wirtschaft und auch dem außenpolitischen Schiffbruch. Lange hat Recep Tayyip Erdogan versucht, sich zum Führer der muslimischen Welt aufzuschwingen und ist dabei kläglich gescheitert. Nun will er der islamischen Welt wenigstens zeigen, dass er der einzig wahre Verteidiger der Ehre des Propheten ist.

Keine Selbstkritik der islamischen Staaten

Bestürzend ist, dass sich die Herrscher vieler anderer muslimisch geprägter Länder lautstark hinter Erdogan stellen und so den Hass weiter anfeuern. Der Vorwurf: Macron würde mit seiner Islam-Kritik die radikalen Kräfte in den muslimischen Gesellschaften stärken. Keine Selbstkritik und auch kein Wort dazu, dass in sehr vielen dieser muslimischen Gesellschaften Korruption, Misswirtschaft, Scheindemokratie und marode Gesundheitssysteme ein idealer Nährboden für den islamistischen Terror sind, der dann auch in die Welt getragen wird.

Die Europa muss Macron beistehen

Wichtig ist, dass sich viele EU-Staaten mit Emmanuel Macron solidarisiert haben. Europa darf in dieser Situation keine Zweifel am Rechtsstaat und demokratischen Werten aufkommen lassen. Im Fall der Türkei muss diese Solidarität aber auch konkrete Folgen haben. So sollte etwa die wirtschaftliche Zusammenarbeit der EU mit Ankara unter die Lupe sehr genau genommen werden - dazu zählen auch die hochlukrativen Rüstungsgeschäfte. Auf keinen Fall darf Europa in die Falle Erdogans tappen und eine Frontstellung zu „den Muslimen“ aufbauen. Das ist keine moderner „Religionskrieg“. Oberstes Ziel muss es sein, kühlen Kopfes und mit gezielten Maßnahmen den Autokraten am Bosporus in seine Schranken zu weisen.