Kretschmann ruft die Koalitionsspitzen zu einer Krisensitzung zusammen. Foto: dpa/Marijan Murat

Der erste Riss in der Koalition: Grüne und CDU driften beim Thema Impfpflicht deutlich auseinander. Kretschmann lädt zur Krisensitzung.

Stuttgart - Dabei wollte Kretschmann doch für seine letzte Amtszeit nichts mehr als eine stabile Regierung. Das stabile, verlässliche Regieren und der Gleichschritt im Umgang mit der Pandemie seien schließlich die Gründe gewesen, warum er sich im Frühjahr 2021 erneut für die CDU als Koalitionspartner entschied und nicht für eine Ampel mit SPD und der widerborstigen FDP, das hat er immer wieder betont. Und bislang gab die Südwest-CDU auch im Großen und Ganzen einen artigen Koalitionspartner ab. Aber nun fahren die Christdemokraten dem Ober-Grünen ordentlich in die Parade. Bei einem Thema, dass derzeit die Gemüter bundesweit erhitzt: die Impfpflicht.

Kretschmann lädt die Koalitionsspitzen nun zur Krisensitzung. Und die SPD spricht schon von einem „Vorzeichen der Regierungskrise“.

Was ist da los?

Der Streit dreht sich um die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht, die ab Mitte März für Beschäftigte in Pflegeheimen und Kliniken bundesweit gelten soll. Diese ist - im Gegensatz zur allgemeinen Impfpflicht - längst von Bundestag und Bundesrat beschlossen. Ab dem 15. März müssen demnach Beschäftigte in Pflegeheimen und Kliniken nachweisen, dass sie geimpft oder genesen sind - oder sie müssen ein Attest vorlegen, dass sie nicht geimpft werden können.

Die Union hat damit nun ein Problem. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will alle Spielräume im Freistaat nutzen, um die Umsetzung der Teil-Impfpflicht vorläufig auszusetzen. Auch CDU-Bundeschef Friedrich Merz fordert eine bundesweite Aussetzung. Kretschmann, sonst gerne auf CDU-Linie, ist darüber alles andere als glücklich. Am Dienstag zeigt er sich irritiert über den bayerischen Nachbarn Söder, erklärt, dass man die Risiken bereits vorher kannte - und vor allem dass man sich an Gesetze halten werde. „Wir können ein Bundesgesetz nicht aussetzen“, sagt er.

Kritik aus den Reihen der Union

Aber dann reihen sich auch seine Koalitionspartner in die Riege der Aussetzungsanhänger ein. CDU-Landeschef und Vizeregierungschef Thomas Strobl und CDU-Fraktionschef Manuel Hagel finden, dass zu viele Fragen ungeklärt sind, dass man Pflegeheime, Krankenhäuser und Gesundheitsämter nicht alleine lassen dürfe. Dabei begehen sie ein rhetorisches Spagat, das auch der neuen bundespolitischen Gemengelage geschuldet sein dürfte.

Die CDU ist im Bund neuerdings in der Opposition, im Land nach wie vor in Regierungsverantwortung und zur Koalitionsdisziplin verpflichtet. Für Strobl und Hagel liegt die Verantwortung denn auch in erster Linie bei der Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP. Die müsse nun schleunigst nacharbeiten und eine bundeseinheitliche Lösung finden, sagen sie. Für die Umsetzung seien aber die Länder zuständig, lässt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch über einen Sprecher in Berlin ausrichten. Die Länder hätten den Bund explizit gebeten, diese Impfpflicht als Schutz für gefährdete Gruppen einzuführen.

Kretschmann ruft Koalitionsspitzen zu einer Krisensitzung

Strobl und Hagel schimpfen auf die Ampel und vermeiden Angriffe auf den eigenen Regierungschef - und doch sind die Äußerungen ein ungewohnt deutlicher Tritt gegen Kretschmanns Schienbein. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke formuliert es so: „Bei Grün-Schwarz geht es zu wie bei Hempels unterm Sofa!“ Kretschmann müsse sich entscheiden, ob er an der Seite der Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP stehe oder an der Seite der „irrlichternden, populistischen“ CDU, findet SPD-Fraktionschef Andreas Stoch - und fordert ein Machtwort vom Ministerpräsidenten.

Der ergreift am Mittwoch auch prompt die Initiative: Kretschmann ruft die Koalitionsspitzen zu einer Krisensitzung zusammen. Über die Umsetzung der Impfpflicht für Pflegekräfte wolle man am Donnerstag reden, kündigte ein Regierungssprecher an. Ob Grüne und CDU ihre Differenzen ausräumen können und ob das der Beginn vom Ende des stabilen Regierens ist, bleibt offen.