Der Brunnenknabe, der auf dem Schlossplatz den Kocher symbolisiert, hat den Unterarm und den Unterschenkel verloren. Das Land will die Figur nicht reparieren. Foto: / Lichtgut/Leif Piechowski

Die Brunnenputte Kocher vom Schlossplatz ist schwer beschädigt – doch der Knabe, ein Opfer von Vandalismus, bleibt amputiert. Das Land lehnt die Restaurierung ab. Merkmal eines Kulturdenkmals sei „Authentizität“. Die Brünnele-Stiftung kann es nicht fassen.

Der Schlossplatz, ein Herzstück der Stadt, zählt zu den meistfotografierten Motiven von Stuttgart. Immer wieder stellen sich Touristengruppen vor den beiden 1863 errichteten Brunnen auf, die mit Putten die wichtigen Flüsse Württembergs symbolisieren. Der Knabe, der mit lockigem Haar für den Kocher steht, für den zweitgrößte Nebenfluss des Neckars, hat den Unterarm und den Unterschenkel verloren. Bei Freunden der Stadtgeschichte ruft diese Zerstörung durch Vandalen Schmerzen hervor. Die Jubiläumssäule gleich daneben ist mit Netzen noch immer verpackt. Damit ist ein kulturhistorisch bedeutsamer Ort sehr beeinträchtigt.

Manch einem Passanten wird die Beschädigung am Südbrunnen, also auf der Seite zur Planie hin, vielleicht gar nicht auffallen. Der Stiftung Stuttgarter Brünnele, die vor 20 Jahren von Peter H. Haller und seinem Lebenspartner Herbert O. Rau gegründet worden ist, fiel die amputierte Figur, die zu einem wichtigen Kulturdenkmal der Stadt gehört, sofort auf. Die beiden lieben das Schöne, setzen sich für Erinnerungskultur ein, sammeln Spenden, um Brunnen zu erhalten, um sie vor Verfall und Austrocknung zu bewahren – denn diese seien sehr wichtig für das Stadtbild. Auch beim beschädigten Kocher-Knaben würde die Stiftung gern mit Geld helfen, ihn instandzusetzen, um die Symbolkraft der Figur wiederherzustellen. Doch das Land winkt ab.

„Damit wird Vandalismus Tür und Tor geöffnet“

An die Sanierung sei nicht gedacht, heißt es aus dem Finanzministerium, das für den Schlossplatz und die Denkmalpflege zuständig ist. Diese Entscheidung macht Peter H. Haller fassungslos. Damit werde Vandalismus Tür und Tor geöffnet, wenn man mit Nichtstun Zerstörungen quasi legalisiere.

Für die Denkmalbehörden, erklärt Sebastian Engelmann, der Pressesprecher von Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne), auf Anfrage unserer Zeitung, sei „Authentizität“ ein „besonderes Merkmal“ eines Kulturdenkmals. „Dies gilt insbesondere für künstlerische Darstellungen“, fährt Engelmann fort, „deshalb werden beschädigte Kunstdenkmale weltweit im Normalfall nicht ergänzt.“ Dies sei beispielsweise bei vielen antiken Statuen zu sehen, denen Gliedmaßen fehlten, die man nicht ersetze.

Saniert wurde, „was für die Funktion des Brunnens notwendig ist“

Für das Landesamt für Denkmalpflege erklärt Andrea Panitz, die Sprecherin im Regierungspräsidium, auf unsere Anfrage, dass die Beschädigungen das Erscheinungsbild der Brunnen nicht beeinträchtigten. Bei den beiden Springbrunnen handele es sich um spätklassizistische Werke aus Gusseisen nach den Entwürfen des Architekten Christian Friedrich von Leins und des Bildhauers Karl Kopp. Letztmals seien diese Brunnen im Jahr 2016 saniert worden. „Anlässlich dieser Sanierungskampagne wurde in Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium ein restauratorisches Konzept erarbeitet, das einen möglichst weitgehenden Erhalt der historischen Substanz sowie des Erscheinungsbildes des Brunnens zum Ziel hatte“, betont Andrea Panitz. Man habe nur „wasserführende Teile“ ergänzt beziehungsweise repariert, die für die Funktion des Brunnens notwendig seien.

Bei den in Zink gegossenen und auf Gusseisen aufgesetzten Figuren habe man davon abgesehen, sie zu ergänzen, weil der Brunnen auch ohne Vollständigkeit trotzdem seiner ursprünglichen Bestimmung entspräche, erklärt Pressesprecherin Panitz weiter: „Für eine Ergänzung der Fehlstellen hätten die Figuren zudem abgenommen werden müssen. Dabei wären jedoch weitere Materialverluste zu befürchten gewesen. Daher beschränkte sich das restauratorische Konzept auf konservatorische Maßnahmen an den Figuren vor Ort.“

„Die staatlichen Mühlen mahlen viel zu langsam“

Bei Kunsthistorikern ist diese Auffassung höchst umstritten. Einer von ihnen ist Frank Zimmermann, der zu bedenken gibt: „Wenn jemand in Stuttgart mutwillig Kunst zerstört, bedeutet dies also, dass dieser Verlust für die gesamte Stadtgesellschaft nicht ersetzt wird.“ Jeder Privatmann würde Beschädigungen, die nach Vandalismus entstanden seien, richten lassen. Dass dies die Behörden des Landes ablehnten, dürfe nicht akzeptiert werden, findet der Kunsthändler. Den Vergleich mit antiken Statuen lässt Zimmermann nicht gelten: „Bei diesen Fällen handelt es sich nicht um neuzeitlich entstandene Schäden wie auf dem Schlossplatz. Deshalb funktioniert der Vergleich nicht.“

Peter H. Haller von der Stiftung Brünnele ärgert sich, dass sich Behörden immer wieder gegen private Initiativen stellen würden. „Die staatlichen Mühlen mahlen viel zu langsam“, kritisiert er. Wenn Bürgerinnen und Bürger die Stadt verschönern und etwas gegen den Verfall von Brunnen mit privaten Mitteln unternehmen wollten, sollten sie nicht ausgebremst werden, findet er. Als weiteres Beispiel nennt Haller den Brunnen im Stuttgarter Zeppelin-Gymnasium. Dort ist der Brunnenfigur der Penis mutwillig abgeschlagen worden. Die Stiftung wollte die Zerstörung richten, was die Denkmalschutzbehörde ebenfalls abgelehnt habe.

Die Historie der Brunnen

Blick zurück
Die beiden Springbrunnen auf dem Schlossplatz sind zu Ehren von König Wilhelm I. im Jahr 1863 – nach der Errichtung der Jubiläumssäule – aufgestellt worden. Die Figuren symbolisieren die wichtigen Flüsse in Württemberg. Während es sich bei den Putten des Südbrunnens auf der Seite zur Planie hin um die Originale handelt, sind die Figuren des Nordbrunnens 1945 verschwunden. Der Verbleib konnte nicht geklärt werden. Anhand von Fotografien wurden die Putten rekonstruiert.