Seit drei Jahrzehnten streitet Ostfildern über die Wände von Sol LeWitts Installation „Four Part Piece“ – die Einwohner mögen ein Problem mit der Kunst haben – den Schnaps zur Kunst scheinen sie zu lieben. Foto: Pressefoto Horst Rudel/Horst Rudel

Vielleicht hilft jetzt nur noch Schnaps. Die Rekonstruktion von Sol LeWitts skulpturalen Wandstücken lässt in Ostfildern einen alten Streit aufflammen. Hochprozentiges dazu ist jedoch ausverkauft.

Ostfildern - Sie wurden beschimpft, besprüht, beschmiert. Den Rest besorgten Wind und Wetter. Seit drei Jahrzehnten streitet Ostfildern über die Wände von Sol LeWitts Installation „Four Part Piece“. Nun wird das vierteilige Ensemble vor den Toren der Stadt abgerissen und neu gebaut. „Mit Putzen wäre es leider nicht getan gewesen“, berichtet Holle Nann. Die Leiterin der Städtischen Galerie Ostfildern kennt das Œ uvre des US-Künstlers gut und verfolgt die Debatte über die minimalistischen Skulpturen seit Langem. Vor allem die Witterungsschäden hätten sich zu tief in das Kalksteinmauerwerk hineingefressen. Dass es zur Radikallösung gekommen ist, liege nicht zuletzt an früheren Rettungsversuchen mit latexhaltigen Mitteln. „Hierdurch“, so Nann, „konnte Feuchtigkeit weiter eindringen, aber nicht mehr abtrocknen.“

Restaurierungsarbeiten sollte man eben immer Profis anvertrauen. Die jetzt erforderliche Rekonstruktion orientiere sich an den ursprünglichen Plänen des 2007 gestorbenen Künstlers. „Wir standen auch in Kontakt zu LeWitts Rechtsnachfolgern. Sie haben sich ebenfalls für einen Neubau ausgesprochen“, erklärt Nann.

„Ist das Kunst?“

Das Freiluftkunstwerk verteilt sich auf vier Standorte, die symbolisch für die vier Gründungsdörfer der Fildergemeinde stehen. Trotz dieses Lokalbezugs fremdelten die Ostfilderner von Anfang mit den schlichten Wandstücken an den Ausfallstraßen. Bereits im Vorfeld der Errichtung 1992/93 machte sich Unmut breit. In dessen Zentrum stand die Behauptung, bei dem Projekt handele es sich um staatliche Geldverschwendung. „Dabei war vielen Bürgern offenbar nicht bewusst, dass die Arbeiten über Spenden und nicht aus Steuermitteln finanziert wurden“, stellt Nann klar.

Auch für die Kosten der Rekonstruktion, die rund 145 000 Euro betragen, seien Privatpersonen beziehungsweise Firmen und Verbände aufgekommen. Mancher Förderer von damals hat sich nun ein zweites Mal engagiert. Was für die Galeriechefin zeigt: „Es gibt nach wie vor viele Menschen, die Kunst nicht als Sahnehäubchen, sondern als gesellschaftliche Notwendigkeit betrachten.“

Gleichwohl erleben alte Vorwürfe gegen die Raumplastiken eine Renaissance in den sozialen Netzwerken. Insbesondere Äußerungen, die dem Ganzen generell den Kunststatus absprechen. „Kunstwerk? Wo ist das Kunst? Jeder Maurer kann so was“, heißt es beispielsweise in der Facebook-Gruppe „Ostfildern aktuell“.

LeWitts Kunst sei für alle verständlich – dennoch soll Hochprozentiges mehr Bürgernähe herstellen

Dass sich jemand, dem LeWitts avantgardistische Konzepte fremd sind, mit dem schroffen Sichtmauerwerk zunächst schwertut, kann Nann durchaus nachvollziehen. Trotzdem, betont sie, habe LeWitt nicht elitär, sondern sehr demokratisch gedacht: „Seine Kunst ist für jedermann zugänglich und wegen der einfachen Formensprache ohne Bildungshürden verständlich.“

Zusätzlich hatte Ostfilderns Bürgerstiftung als Trägerin des Restaurierungsprojekts eine Idee, um für die Erhaltung der strengen Formen zu werben. Das Obst der Streuobstwiesen, auf denen die Skulpturen stehen, wurde zu Schnaps verarbeitet. „Mauerbrand“ heißt die Sonderedition, deren Etikett mit einem Piktogramm der Wandstücke geschmückt ist. Das Kalkül, durch Hochprozentiges aus heimischen Äpfeln und Birnen mehr Bürgernähe herzustellen, könnte aufgehen. Ostfilderns Einwohner mögen ein Problem mit der Kunst haben – den Schnaps zur Kunst scheinen sie zu lieben. Er ist bis auf die letzte Flasche ausverkauft.