In der Ulmer Uni-Klinik experimentiert eine Abteilung mit Methadon – und stößt auf Skepsis. Foto: dpa

Die Ulmer Klinikforscherin Claudia Friesen glaubt fest an die heilsame Wirkung von Methadon bei Krebspatienten. Gegen ihre zunehmende Medienpräsenz ist jetzt die Klinikleitung eingeschritten.

Ulm - Wenn die Ulmer Molekularbiologin Claudia Friesen in den vergangenen Jahren in Interviews und Talkshows auftauchte, und das war oft der Fall, dann ist sie stets mehr gewesen als eine ärztliche Expertin zum Thema Krebs. Sie war für das Massenpublikum, das ihr lauschte, immer auch eine Hoffnungsträgerin, vor allem für jene Patienten, die als austherapiert galten, deren Leben in Tagen oder Wochen gemessen wurde. Claudia Friesen erzählte immer wieder, wie ihr 2007 im Labor zum ersten Mal aufgefallen war, dass der schmerzstillende Wirkstoff Methadon Krebszellen zum Absterben bringen konnte. Sie berichtete von Fällen, in denen Hospizpatienten Methadon bekamen und dass es diesen Menschen plötzlich wieder besser ging. Immer beklagte sie zugleich das Fehlen klinischer Studien, die die Wirksamkeit von Methadon als Krebsmedikament belegen.

Kein anderer Wissenschaftler der Universität Ulm war zuletzt gefragter in den deutschen Medien. Das Institut für Rechtsmedizin unter der Leitung von Erich Miltner, in dem Claudia Friesen forscht, hat dieses Interesse durch mehrere auf der Homepage des Instituts publizierte Pressemitteilungen wach gehalten. Von einem „neuen Ansatz in der Krebstherapie“ war in der Titelzeile mal die Rede, dann sogar von einem „Durchbruch“ im Kampf gegen die tödlichste aller Volkskrankheiten. Im Zusammenspiel mit einer Chemotherapie, so die Forscherin, könne Methadon den Widerstand der Tumorzelle gegen das Chemotherapeutikum brechen und so zum Absterben des Tumors führen. Berichte von Patienten, die nach Verabreichung von Methadon plötzlich zurück ins Leben fanden, stützten Friesens Beobachtungen im Labor.

Der Vorstand sperrt Teile der Instituts-Homepage

Nun aber ist Schluss mit den Pressemitteilungen. Weshalb, darüber klärt ein Eintrag auf der Homepage des Instituts für Rechtsmedizin auf – und auch wieder nicht. „Sorry, die Klinikumsleitung hat am 05.07.2017 die Fragen und Antworten zum Thema Methadon in der Schmerz- und Tumortherapie eigenmächtig gelöscht“, steht in alarmroten Lettern zu lesen. Friesen und ihr Chef Miltner sind neuerdings telefonisch nur schwer erreichbar. Ein Anrufbeantworter verweist Interessenten auf den E-Mail-Verkehr – „aufgrund der großen Anfragen“.

Dafür spricht Udo Kaisers, der Leitende Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende des Universitätsklinikums. Es gehe nicht, „dass man auf der Plattform der Universitätsklinik ein nicht geprüftes Heilverfahren propagiert“, sagt der Klinikchef. Weil alle Vorgespräche und Bitten mit dem rechtsmedizinischen Institut nichts gefruchtet hätten, habe der Vorstand Teile der Homepage schließlich gesperrt. Miltner ist laut Kaisers zuvor ein Schreiben der hausinternen juristischen Abteilung zugeschickt worden, in dem die Zwangsmaßnahme angekündigt wurde. Die Klinikumsleitung sei „presserechtlich verantwortlich für das, was auf der Homepage steht“, sagt Kaisers.

Ein öffentlicher Konter schon vor einem Jahr

Der interne Streit gärt offenbar schon seit langer Zeit. Eine Ahnung davon konnte man vor knapp einem Jahr bekommen. Ein Beitrag des Bayerischen Rundfunks, verbreitet auch über den Sender Tagesschau24, hatte Friesens Therapie groß aufgemacht. Genannt wurden 80 Patienten, denen es nach der Abgabe von Methadon schnell wieder besser gegangen sei. Am 23. August 2016 konterte die Klinikleitung mit einer „gemeinsamen Stellungnahme“ der Medizinischen Fakultät der Universität, des Universitätsklinikums und des Comprehensive Cancer Centers Ulm: „Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die von der Arbeitsgruppe der Molekularbiologin Frau Dr. Friesen (...) erhoben wurden, beziehen sich ausschließlich auf vorklinische Experimente entweder mit Zellkulturen oder tierexperimentellen Studien“, stand zu lesen. Die 80 im Beitrag genannten Patienten seien nicht am Uniklinikum Ulm und „nicht im Rahmen von klinischen Studien behandelt worden“, heißt es weiter. Dann der Satz: „Daher halten wir den unkritischen Einsatz von Methadon außerhalb klinischer Studien für nicht gerechtfertigt.“

Die eigentlich längst verblasste Pressemitteilung hat die Uniklinik am 22. Juni wieder aus dem Archiv geholt und ganz vorne auf ihre Homepage gestellt, und das dürfte kein Zufall sein. Denn nur Stunden vorher hatte Claudia Friesen einen Fernsehauftritt bei „stern TV“, wo sie schilderte, im Besitz von mehr als 350 Patientendaten zu sein, deren MRT-Bilder unter der Einnahme von Methadon einen deutlichen Rückgang der Metastasen aufwiesen. Zugleich lieferte die Wissenschaftlerin eine Theorie mit, weshalb es bis heute keine klinische Studie zur Wirkung von Methadon in Bezug auf Krebs gibt: „Wenn ich sehe was Methadon kostet, zwischen acht und 20 Euro für hundert Milliliter, die vier bis sechs Wochen reichen, und vergleiche das mit den sehr teuren Medikamenten, die dann 20 000 bis 25 000 Euro kosten, hat Methadon kaum eine Chance.“

Ist Methadon uninteressant, weil es zu billig ist?

Was der Zuschauer denken musste: Pharmafirmen, die den Großteil klinischer Studien in Deutschland finanzieren, haben kein Interesse daran, günstiges Methadon genauer erforschen zu lassen und damit womöglich eigene, teure Hauspräparate zur Krebsbekämpfung wertlos zu machen.

Danach stand bei der Ulmer Uniklinik laut dem Vorstandschef Kaisers das Telefon nicht mehr still. „Unsere Telefonzentrale brach bisweilen zusammen.“ Niedergelassene Onkologen aus der Region hätten gedroht, keine Patienten mehr zu schicken, weil behandlungsbedürftige Menschen Methadon verlangt und sich geprüfter Heilverfahren verweigert hätten. „Man hat mir vorgeworfen, ich wäre der lange Arm der Pharmaindustrie. Das ist eine bizarre Vorstellung“, so Kaisers. Für ihn noch schlimmer: Das Arzt-Patientenverhältnis sei durch die vielen Medienberichte an vielen Orten „unterminiert“ worden. Claudia Friesen als Chemikerin habe diese Folgen ihrer Medienpräsenz für praktizierende Ärzte offenbar nicht verstanden, oder es sei ihr egal gewesen.

Möglich, sagt Kaisers, der 2015 in Ulm ins Amt kam, dass sich die Forscherin intern isoliert gefühlt habe – ohne Geld für ihre Arbeit und in Opposition zum Klinikvorstand. „Frau Friesen steht intensiv in Kontakt mit der Industrie, um Mittel für so eine Forschung zu bekommen“, sagt der Vorstandsvorsitzende. Aber bisher ohne Ergebnis. Möglich, dass die Chemikerin deswegen den Weg über die Medien gesucht habe. „Vielleicht hätten wir mehr Unterstützung geben müssen.“

Nach der Zwangsmaßnahme eine Aussprache

Am Montag kam es zu einer Aussprache zwischen Kaisers, dem Institutschef Miltner und Friesen. Dabei sei vereinbart worden, dass die Uniklinik die Sammlung weiterer Daten zur Wirksamkeit von Methadon durch Testreihen unterstützt. So könnten sich die Voraussetzungen für ein Zulassungsverfahren verbessern, sagt der Vorstandsvorsitzende. Am Ende müsse das Heilversprechen dennoch Studien und ein offizielles Zulassungsverfahren gedeckt werden, wie das für alle neuen Medikamente in Deutschland gelte. „Diese Tour muss auch Frau Friesen gehen“.

Dass Claudia Friesen fortan keine Interviews mehr gibt, ist nicht Teil der Vereinbarung. Er wünsche sich wieder Ruhe für den Klinikbetrieb, sagt Kaisers, aber er zweifelt. Ob er glaube, die Forscherin bald wieder in einer Fernsehsendung zu sehen? „Ich fürchte, ja.“