Vielleicht lässt das Urteil des Verwaltungsgerichts den Haussegen im Neuhausener Rathaus künftig etwas weniger schief hängen. Foto: Ines Rudel

Der Neuhausener Gemeinderat hat das Urteil des Verwaltungsgerichts im Streit der Gemeinderätin Tanja Verch mit Bürgermeister Ingo Hacker erörtert. Es zeigten sich unterschiedliche Rechtsauffassungen – und Appelle zur Verständigung.

Um es gleich zu sagen: In der Frage der Haushaltsaufstellung führte die Neuhausener Gemeinderatssitzung am Dienstag noch keinen Schritt weiter. Nur eine Marschrichtung deutete Kai-Markus Schenek, der Rechtsbeistand der Gemeinde, an. Und die lautet: Änderung der Geschäftsordnung des Gemeinderats. Würde ein Passus aufgenommen, führte Schenek aus, der wiederholende, also bereits behandelte Anträge ausschließt, könnte das Neuhausener Verfahren der Haushaltsaufstellung weitgehend beibehalten werden. Indirekt in Frage gestellt wird es durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Kommunalverfassungsstreit der Fraktionsvorsitzenden der Initiative Grüne Liste (IGL), Tanja Verch, gegen Bürgermeister Ingo Hacker. Im Kern geht es bei dem seit Jahren schwelenden Streit um das von Verch beanspruchte Recht, in öffentlicher Sitzung Anträge noch einmal stellen zu dürfen, die in nicht öffentlicher Sitzung bereits behandelt und abgelehnt wurden. Das in Neuhausen bisher praktizierte Verfahren der Haushaltsaufstellung schließt diese Wiederholungsanträge aus. Dass Verch sie trotzdem stellte und Hacker sie nicht zuließ, führte regelmäßig zu Knatsch im Gemeinderat. Manchmal wies der Bürgermeister die Gemeinderätin sogar aus der Sitzung. Verch klagte schließlich vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart, und dieses gab ihr im entscheidenden Punkt Recht: Anträge, die sich auf Tagesordnungspunkte beziehen, dürfen stets gestellt und auch wiederholt werden, urteilte das Gericht.

 

Zuständig oder nicht?

Die Erörterung des Urteils war nun Thema einer Sondersitzung des Gemeinderats. Verch und Hacker erklärten sich für befangen und wechselten in die Zuschauerreihen, der Erste Beigeordnete Rainer Däschler übernahm die Leitung der Sitzung. In der es allerdings auch um eine Beschlussfassung ging, die höchst unterschiedliche Rechtsauffassungen im Gremium offenbarte. Das Gericht hat keine Berufung zugelassen, weil das Urteil nicht von grundsätzlicher Bedeutung sei. Gegen diese Entscheidung ist eine Nichtzulassungsbeschwerde möglich, wie es im sperrigen Juristendeutsch heißt. Ob sie eingelegt wird, sollte der Gemeinderat entscheiden.

IGL-Rat Peter Theiler kamen Zweifel, ob das Gremium die richtige Adresse ist, da ja nicht die Gemeinde prozessbeteiligt ist, sondern zwei ihrer Organe – Gemeinderätin und Bürgermeister – Kontrahenten des Rechtsstreits sind. Der Gemeinderat, so die Argumentation, könne nicht für Verch als Klägerin entscheiden, ob sie Rechtsmittel einlegt, er könne es aber auch nicht für Hacker, denn dies „wäre ein unzulässiger Eingriff in die Zuständigkeit des Bürgermeisters“, sagt Theiler. Er stellte folglich den Antrag, der Gemeinderat möge sich für unzuständig erklären, also keine Abstimmung durchführen. Mariela Herzog (Freie Wähler) stimmte Theilers Rechtsauffassung zu, Dietmar Rothmund (SPD) und Dominik Morár (CDU) waren entschieden dagegen, sich „diese Entscheidung aus der Hand nehmen zu lassen“, wie Rothmund sagte. Theilers Antrag erhielt acht Pro-Stimmen aus den Reihen von Freien Wählern und IGL und acht Gegenstimmen. Damit war er abgelehnt, wie es die Gemeindeordnung bei Stimmengleichheit vorschreibt, und es kam zur ursprünglich vorgesehenen Abstimmung. Bei vier Enthaltungen wurde beschlossen, keine Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen.

Springender Punkt: das Antragsrecht

In der Sache selbst wies der Verwaltungsrechtler Schenek noch einmal darauf hin, dass nicht die Haushaltsaufstellung Gegenstand des Rechtsstreits gewesen sei. Tatsächlich hatte das Gericht in seiner Begründung darauf hingewiesen, dass jenes Verfahren mit Vorberatungen in nicht öffentlichen Ausschüssen und Beschlussfassung in öffentlicher Sitzung mit dem Urteil vereinbar sei. Springender Punkt ist das Antragsrecht, das, so das Gericht, nicht durch Verweis auf Effizienz beschnitten werden dürfe, wohl aber durch eine Geschäftsordnung, die sich der Gemeinderat im Rahmen seiner Selbstorganisation geben könne. Der Skepsis im Gremium, ob allein eine Veränderung der Geschäftsordnung den Rechtsansprüchen auf Öffentlichkeit und Antragsstellung bei ansonsten unverändertem Verfahren genüge, widersprach Schenek: Ja, sie genügt, lautete seine Antwort.

In den Statements der Fraktionen brachen allerdings einige Zwischentöne auf, namentlich bei den Freien Wählern (FW), nach dem bisher dominierenden Schema „Verch gegen den Rest der Welt“ auf – auch wenn es in einer nach der Sitzung verbreiteten gemeinsamen Stellungnahme der Fraktionsspitzen von CDU, FW, SPD und FDP heißt, es habe beim Verwaltungsgerichtsurteil „nur Verlierer“ gegeben. Die Anträge der IGL, um die es bei der Klage ging, seien mehrfach beraten worden und „nicht mehrheitsfähig“.

„Das muss künftig besser laufen“

In der Sitzung klang das etwa bei Jens Jenuwein (FW) noch anders: „Ich finde es nicht undemokratisch, wenn man versucht, seine Rechte durchzusetzen“, sagte er im Hinblick auf Klägerin Verch, der er zugleich „verbale Abrüstung“ empfahl. Und vom Bürgermeister verlangte er eine „sachliche Sitzungsleitung“. Recht salopp meinte Jenuwein: „99 Prozent der Neuhausener geht es am Arsch vorbei, wie wir unseren Haushalt aufstellen.“ Es komme also auf die Ergebnisse und die Sacharbeit an. Diese sieht FW-Rat Ulrich Krieger durch das Urteil gefördert: „Es bringt uns Klarheit, deshalb geht es leider in Ordnung. Wir hätten aber relativ viele Punkte selbst klären können.“

Ganz anderer Meinung ist CDU-Rat Morár: „Es ist nur eine wahrscheinlich sehr teure Klärung von Formalitäten.“ Zu den Gerichtskosten kämen „verdeckte Kosten“ durch den Zeitaufwand der Verwaltung. Die Gerichtskosten werden zwar hälftig auf Klägerin und Beklagten verteilt, aber bezahlen, stelle Schenek klar, muss sie die Gemeinde, deren Organe beide Parteien sind. Fazit und Appell von Sitzungsleiter Däschler: „Das muss künftig besser laufen.“