Das Atomkraftwerk Emsland in Lingen. Foto: dpa/Friso Gentsch

Die FDP pocht darauf, dass die drei verbliebenen Kraftwerke auch über den Jahreswechsel hinaus Strom produzieren. Der Minister hingegen will nur vorübergehend betriebsbereit halten.

Der Plan von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), zwei Atomkraftwerke für wenige Monate in eine Art Kaltreserve zu überführen und den dritten verbliebenen Meiler wie vorgesehen Ende 2022 ganz abzuschalten, wird zur Belastungsprobe für die Ampelkoalition. Die Freien Demokraten machten am Dienstag abermals deutlich, dass sie angesichts der Energiekrise in Europa einen vorübergehenden Weiterbetrieb aller drei Kraftwerke für unverzichtbar halten. Die Grünen-Führung hingegen steht hinter Habecks Plan, auch aus der SPD kommen wohlwollende Signale.

Der FDP-Klimaexperte Lukas Köhler meinte am Montag, Habeck bewege sich zwar in die richtige Richtung, für Versorgungssicherheit und Preisdämpfung müssten aber alle drei Atomkraftwerke am Markt bleiben. Ein Weiterbetrieb wäre auch „ein wichtiges Signal an unsere Partner in Europa, dass wir alles tun, um Strom nicht unnötig zu verknappen“. Parteichef Christian Lindner verlangt einen Weiterbetrieb bis mindestens in das Jahr 2024 hinein.

Binnen einer Woche Anlagen hochfahren

Wie berichtet, will Wirtschaftsminister Habeck die beiden Atomkraftwerke Neckarwestheim (Baden-Württemberg) und Isar 2 (Bayern) zum Jahresende vom Netz nehmen und bis Mitte April 2023 in eine „Einsatzreserve“ überführen. Falls zur Stabilisierung der Netze zusätzliche Strommengen benötig werden, sollen die Anlagen binnen etwa einer Woche wieder hochgefahren werden.

Im dritten noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerk Emsland (Niedersachsen) soll Ende 2022 definitiv Schluss sein mit der Stromproduktion, bei den beiden anderen viereinhalb Monate später. Am Atomausstieg werde nicht gerüttelt, hatte Habeck am Montagabend bei der Präsentation eines „Stresstests“ der vier Übertragungsnetzbetreiber gesagt.

Habeck ist überzeugt, dass sein Plan ausreicht, um die Gefahr vorübergehender Stromausfällen im Winter zu bannen. Europas Strommarkt befindet sich derzeit in schweren Turbulenzen. Das hat mit der Verknappung von Erdgas im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu tun. Außerdem produziert in Frankreich derzeit nur die Hälfte der dortigen Atomkraftwerke Strom. Wegen niedriger Wasserstände bei zahlreichen Flüssen in Europa ist es schwieriger geworden, Kohlekraftwerke mit Nachschub zu versorgen.

Zumutung aber Notwendigkeit

Grünen-Chef Omid Nouripour verteidigte Habecks Pläne am Dienstag gegen Kritik. Für die Ökopartei sei der mögliche Weiterbetrieb von zwei Atomkraftwerken ein Zumutung. Angesichts der besonderen Umstände sei das aber notwendig. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch nannte Habecks Pläne „eine gute Grundlage für faktenbasierte und sorgfältige Beratungen im Parlament“.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vermied es am Dienstag zunächst, öffentlich Position zu beziehen. Offenbar soll versucht werden, die Meinungsverschiedenheiten zunächst intern zu klären oder zumindest so weit herunterzudimmen, dass sie das Arbeitsklima innerhalb der Koalition nicht weiter belasten. Am 9. Oktober wird in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt. In der Woche darauf treffen sich die Grünen zu einem Bundesparteitag in Bonn. Hier ist ebenfalls mit heftigen Debatten über den Habeck-Vorschlag zu rechnen. Die grüne Basis muss noch überzeugt werden.

Vertreter der Grünen streuten am Dienstag in Berlin, dass Scholz Habecks Vorschlag mittrage. Ein Regierungssprecher verwies auf Anfrage auf ältere Äußerungen des Kanzlers. Dieser hatte vor Veröffentlichung des Stresstests gesagt, dass unter bestimmten Umständen eine etwas längere Nutzung der Atomkraft Sinn ergeben könnte.

Scholz hält Rede im Bundestag

Scholz wird an diesem Mittwoch im Bundestag im Rahmen der Haushaltsdebatte das Wort ergreifen. In seiner Rede dürften auch die Lage auf den Energiemärkten eine Rolle spielen. Am Montag hatte Scholz eine Videokonferenz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron abgehalten. Nach Macrons Darstellung verabredeten beide Staatslenker, dass Frankreich im Winter Deutschland bei Bedarf mit Erdgas aushelfen werde und Deutschland dem Nachbarland mit Strom. Das deutet darauf hin, dass der Kanzler von zusätzlichen Erzeugungskapazitäten hierzulande ausgeht.

CSU-Chef Markus Söder forderte SPD und FDP am Montag auf, den Plänen Habecks nicht zuzustimmen. Scholz müsse dem grünen Minister die Zuständigkeit für die Energiepolitik entziehen. CDU-Chef Friedrich Merz nannte die geplante Stilllegung der drei Atommeiler „Irrsinn“.