Die Beschwerden über liegen gebliebenen Müll nehmen täglich zu, auch bei der Abfallwirtschaft Stuttgart. Ein Ende der Tarifauseinandersetzung und damit der Streiklage ist aber noch nicht in Sicht.
Täglich erreichen uns nun immer mehr Mails und Benachrichtigungen aus allen Teilen der Stadt, die über die immer unerträglicher werdende Situation in Sachen Müll vor ihrer Haustüre berichten. Ratlosigkeit, zunehmende Wut, praktische, aber letztlich auch vergebliche Tipps und Vorschläge gehen da Hand in Hand.
Fünf Wochen lang kein Service
„Im Stitzenburgviertel wurde der Biomüll zuletzt am Donnerstag, 6. Februar, geleert. Jetzt, an diesem Donnerstag, 13. März, wird wieder gestreikt. Das heißt, wir haben dann fünf Ausfälle am Stück. Fünf Wochen lang kein Service. Bei der nächsten planmäßigen Abholung werden es dann 42 Tage, 6 Wochen oder 1,5 Monate ohne Müllabholung sein“, schreibt ein Leser aus dem Westen. „Die Tonnen sind mehr als randvoll, mittlerweile steigen die Temperaturen. Stellt Euch eine solche Situation mal im Hochsommer vor.“ Und er zeigt ein gewisses Verständnis. „Streik ist vollkommen in Ordnung. Aber es kann nicht sein, dass wir so lange auf dem stinkenden Müll sitzen bleiben. Abgesehen davon stehen die Straßen auch mittlerweile voller schwarzer und grüner Tonnen, denn auch hier gab es in der Zwischenzeit Ausfälle.“ Sein Ratschlag: „Offenbar liegen wir am Ende einer Tagesroute, sodass die Müllautos schon voll sind, bevor sie die Danneckerstraße erreichen! Vielleicht kann eine Route auch mal gedreht werden, sodass unsere Tonnen endlich mal geleert werden.“
Ein öffentliches Ärgernis
Eine Leserin klagt: „Nicht nur die Stadtmitte leidet unter Müllbergen, sondern auch wir Bewohner auf der Gänsheide. Ich habe sechs Euro je Sack von der Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) bezahlt. Seit vier Wochen sind die herausgestellte Säcke nicht abgeholt worden. Es werden jede Woche immer mehr. Mittlerweile sind es sechs Säcke. Ich verstehe nicht warum. Die waren ordnungsgemäß auf den Gehweg hingestellt, geknotet und nur halb voll gefüllt, sodass die nicht zu schwer werden. Es ist nicht nur ein öffentliches Ärgernis, sondern es droht auch eine Rattenplage!“
Oder diese Klage: „Ich kann nur für mein Wohngebiet Stuttgart-Vaihingen Höhenrand sprechen, dort werden Tonnen oft einfach nicht geleert. Auf Nachfrage wurde mir von der AWS telefonisch mitgeteilt, dass man dann eben auf den nächsten Abfuhrtermin warten müsse – der beim Papiermüll teilweise erst drei Wochen später ist, beim Restmüll zwei Wochen. Das ist völlig inakzeptabel! Der Müll stapelt sich, die Tonnen quellen über, und Abfälle liegen einfach daneben.“ Das Resümee dieser Leserin: „Es kann doch nicht sein, dass Bürger für eine funktionierende Müllentsorgung bezahlen, aber am Ende ihren Müll selbst mit sich herumtragen müssen, weil weder im öffentlichen Raum noch zu Hause eine zuverlässige Entsorgung gewährleistet ist. Die Stadt muss dringend sicherstellen, dass Abfuhrpläne eingehalten werden und öffentliche Mülleimer in Parks sowie Wohngebieten regelmäßig geleert werden.“
Viele Vorschläge funktionieren nicht
Noch viel mehr solcher Nachrichten, Mails und Telefonate gehen täglich bei der AWS ein. Der Geschäftsführer Markus Töpfer: „Das geht in die Tausende jeden Tag. Aber wir können daran nichts ändern. Nicht wir legen fest, wann gestreikt wird, wie lange und wann das nächste Mal gestreikt wird. Das macht die Gewerkschaft. Wir sind diejenigen, die bestreikt werden“. Viele Vorschläge, die gut gemeint sind, greifen deshalb auch nicht. „Ich kann nicht dazu aufrufen, Überstunden zu machen. Ich kann auch keine Menschen aus der Privatwirtschaft damit beauftragen, den Müll wegzuräumen. Schon gar nicht jetzt in dieser Phase, wir sind ja noch im Warnstreik. Da würde ich Rechtsbruch begehen, da würde ich mich strafbar machen.“
Dass da kein Spielraum ist, hat sich schon jüngst beim Faschingsumzug in Stuttgart gezeigt. Die AWS durfte nicht hinter dem Narrenzug den Müll wegräumen. Töpfer: „Die Gewerkschaft hat da trotz unserer Bitte keine Ausnahmegenehmigung erteilt.“ Da musste das Amt für öffentliche Ordnung ran und ein Privatunternehmen verpflichten. Und das durfte nur den Müll auf der Straße direkt wegräumen, der auf den Gehwegen musste liegen bleiben.
Streiktage werden kurzfristig bekannt gegeben
Er sieht auch keinen Gewinn darin, Touren umzuplanen an den Tagen, an denen nicht gestreikt wird. „Wir fahren täglich etwa 60 Touren und leeren da an die 10 000 Mülleimer. Das ist ein großer logistischer Aufwand, der bewältigt sein will.“ Deshalb hält er auch nichts von dem Vorschlag, diese Arbeit nach außen zu übertragen. „Da wären gut 150 bis 180 Leute notwendig, die man auf einmal verpflichten müsste. So viele hält niemand in der Reserve parat“. Juristisch wäre dies nicht durchsetzbar. Und planen lasse sich das eh nicht, denn die Streiktage werden inzwischen ziemlich kurzfristig bekannt gegeben.
An eine Ausnahme erinnert sich Töpfer schon. „Das war 2006. Da wurde aber sechs oder sieben Wochen komplett gestreikt in der gesamten Stadt. Da wurde so ein Einsatz politisch genehmigungsfähig gemacht mit dem Argument der Schadensabwehr und Gesundheitsgefahr“. Davon ist die derzeitige Streiksituation aber noch weit entfernt.
Ganz untätig ist Töpfer in der aktuellen Situation aber auch nicht. „Wenn es dementsprechend wo aussieht, bleibt dort halt die Papier- und Restmülltonnen mal stehen, ohne geleert zu werden, damit der andere Müll mit kann.“ Die Stimmung im Betrieb beschreibt Töpfer so: „Sie ist weitgehend verständnisvoll. Den Mitarbeitern ist klar, dass sie eben den jetzt liegen gebliebenen Müll in der Folge einsammeln müssen.“
Hohe Streikbeteiligung
Die Gewerkschaft Verdi beschreibt die Streiksituation so: „Die Verweigerungshaltung der Arbeitgeber in der zweiten Verhandlungsrunde hat bei den Beschäftigten und unseren Mitgliedern große Enttäuschung ausgelöst, besonders in den Arbeiter- und Arbeiterinnenbereichen, wie eben bei der AWS. Dies schlägt sich nicht zuletzt auch auf die Streikbeteiligung nieder, da die Kolleginnen und Kollegen wissen, dass es den notwendigen Druck braucht, um die Arbeitgeber zu einem Angebot zu bewegen“, so Sidar Carman, Verdi-Geschäftsführerin des Bezirks Stuttgart.
Einzelheiten, wie die Planung der konkreten Streiktage aussieht, gibt sie naheliegenderweise nicht preis, soviel aber schon: „Die Streiktage bei der AWS sind Teil der bezirklichen Streikplanung. Die relative Anhäufung von Streiktagen an bestimmten Wochentagen ergibt sich jedoch ausschließlich aus der Gesamtplanung für den gesamten Bezirk. Dies führt dazu, dass die Streiktage bei der AWS etwas häufiger auf einen Donnerstag fallen.“ Abweichungen gebe es schon. „Diese Woche haben wir von diesem Mittwoch bis einschließlich Freitag zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen. Eine taktische Schwerpunktlegung auf einen bestimmten Tag kann ich für die Streikplanung bei der AWS nicht bestätigen.“