Bei Herbie Hancock, der die Jazz Open am Donnerstagabend grandios eröffnet hat, wird das Alte Schloss zum kulturellen Rotlichtviertel. Foto: /Reiner Pfisterer

Stuttgart, wie es brummt und brodelt: Die City vibriert im Rhythmus der guten Laune. Die Jazz Open und der Fischmarkt bringen, jeweils auf eigene Weise, nach der langen Corona-Pause die Menschen in Partylaune. Ein Streifzug durch die Nacht.

Die Wettervorhersage zeigt: Von ganz oben wird die Rückkehr der Lebenslust und Partylaune eifrig unterstützt. Immer noch schöner soll’s werden – perfekt zum Feiern im Freien. Ob Petrus für die allerbeste Lieferung von Sommertemperaturen noch Bargeld annimmt oder schon auf Kreditkarte umgestellt hat, lässt sich von unten nicht abschließend klären. Cash jedenfalls ist bei den Jazz Open out, also ziemlich gestrig. Am ersten Abend im Alten Schloss klappt es recht gut mit der „Zukunft“, von der Promoter Jürgen Schlensog spricht. Proteste bleiben weitgehend aus, wenn man jetzt seine 0,2-Liter-Weinschorle für 4,50 Euro (zuzüglich zwei Euro Pfand) nicht mit Münzen begleicht, sondern die Karte auflegt. Auf WLAN bei der Übertragung hat die Gastronomie auf dem Schillerplatz verzichtet, wäre zu unsicher. Die Annahmegeräte sind fest verkabelt. Cashless bedeutet nicht wireless.

Für das Personal, das in diesen Zeiten für den Ausschank nur schwer zu bekommen ist, wie fast alle Wirte klagen, allerdings ist Kartenzahlung nicht optimal. Ohne Bar- gibt es nur wenig Trinkgeld. Das motiviert nicht unbedingt für einen harten Gastro-Job,

Die Jazz Open legen einen Traumstart im Alten Schoss hin

Ach, wie wunderschön erstrahlt die Stadt! Die Jazz Open, die zu den drei wichtigsten Festivals in Europa in ihrem Genre zählt, haben einen Traumstart im idyllisch illuminierten Alten Schloss hingelegt, das in Rot- und Blautönen an ein verzaubertes Märchenschloss erinnert. Bei Rockit-Man Herbie Hancock ist’s gleich mal ausverkauft. Der Jubel des 1000-köpfigen Publikums lässt sich kaum steigern. „Ganz beseelt“ ist Boris Ritter, der musikalische Leiter von „Tanz der Vampire“. Der 82-jährige US-Jazzpianist sei der „Held meiner Jugend“, sagt der Musicaldirigent, und mit ein Grund, warum er Musiker geworden sei. „Das Eröffnungskonzert ist eine Sensation“, schwärmt der Unternehmer Uli Endress, der als Business-Stammgast bei den Jazz Open schon viel erlebt hat und jedes Jahr aufs Neue staunt, wie es dem Festival gelingt, immer noch besser zu werden.

Michael Wilhelmer ist als Caterer zu den Jazz Open zurückgekehrt

Was auffällt beim Opening: Kaum sitzt Herbie Hancock am Piano mit seiner großartigen Band rechts vom Reiterstandbild von Herzog Eberhard I. im Bart, ist der Saal, in dem sich das Büfett für Logengäste befindet, leer gefegt. Alle sind draußen und genießen. Damit ist gleich mal das Vorurteil widerlegt, dass viele, die von Sponsoren eingeladen werden, sich mehr fürs Essen, für die Drinks und für den Smalltalk interessieren würden als für die Musik.

Michael Wilhelmer, der neue und alte Caterer der Business-Klasse (wegen „persönlicher Differenzen“ hatte er im vergangenen Jahr pausiert), ist mit seinen Leuten während des Konzerts ziemlich allein in der VIP-Area. Probleme mit fehlendem Gastropersonal habe er nicht, sagt der Wasenwirt. Dies liege vielleicht daran, dass er seine Leute während des Lockdowns behalten habe, also in Kurzarbeit, und so gut vernetzt sei, dass er rasch rumtelefonieren könne, wenn Aushilfen knapp oder noch mehr gebraucht werden.

Warum sind keine Stuttgarter Brauereien und Wirte auf dem Wasen?

Örtliche Gastronomen hätten es bei der Personalsuche leichter als Kollegen von auswärts. Wilhelmer, der beim Volksfest ein doppelstöckiges Zelt betreibt, versteht nicht, warum bei den Open-Airs auf dem Wasen – von Rammstein bis zu den Toten Hosen – keine Stuttgarter Wirte zum Zug kommen. Bei den Fantastischen Vier mussten Fans zum Teil eine Stunde lang fürs Bier anstehen, weil der hessische Wirt Helmut Kegel nicht genug Hilfskräfte gefunden hat. „Bei mir wär’ das nicht passiert“, sagt Wilhelmer. Bei Parteien und Veranstaltern will er das Thema ansprechen. Selbst die Brauereien seien auf dem Wasen nicht aus Stuttgart. „Kann doch nicht sein, dass vom Gewinn kein Cent in der Stadt bleibt, wo alles stattfindet“, sagt der Wirt.

Wenige Schritte von den Jazz Open entfernt wird in dieser Nacht der Fischmarkt zur Open-Air-Disco. Unter Kaiser Wilhelm hüpft eine Masse an vergnügten Menschen auf der Treppe und drumherum. So viele zufriedene Gesichter hat man schon lange nicht mehr geballt gesehen. „Es ist schön, alte Bekannte wieder zu treffen“, sagt eine Besucherin, „nach zwei Jahren weiß’ ich allerdings manchmal den Namen nicht mehr.“

Sollte das Stuttgarter Weindorf nach Hamburg zurückkehren?

Bürgermeister Thomas Fuhrmann hat sich bei der Eröffnung des Fischmarkts sogar dafür ausgesprochen, das Stuttgarter Weindorf wie früher nach Hamburg zu exportieren. „Wir nehmen dies als Lob aus dem Rathaus, dass wir gut sind und als Einladung, darüber zu reden“, sagt Sven Hahn, Vorstandsmitglied des Weindorfvereins Pro Stuttgart.

Die Stadt brummt und brodelt. Die Bilder von feiernden Massen in der City oder auf dem Wasen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen: Kleinere Kulturveranstaltungen haben es noch immer schwer, die Säle zu füllen. Auch die brauchen unsere Unterstützung! Maximilian Mann, der Dschinni aus „Aladdin“, tritt am Montag im Renitenztheater für das Kinderhospiz auf. Hingehen lohnt sich!