Das Quatuor Diotima Foto: Veranstalter

Das französische Quatuor Diotima hat den Kammermusik-Zyklus der SKS Russ eröffnet

Stuttgart - Der Name des Quatuor Diotima bezieht sich nicht in erster Linie auf Platons Idee einer Symbiose von Eros und Philosophie oder gar auf die Geliebte von Hölderlins Romanheld Hyperion. Bezugspunkt ist vielmehr Luigi Nonos Streichquartett „Fragmente – Stille – An Diotima“: ein indirekter Verweis auf Hölderlin, und indirekt ist auch der Klang des 1996 am Pariser Konservatorium gegründeten Ensembles: weich, sanglich, klangbewusst und mehr auf die lebendig ausgestalteten Binnenstrukturen ausgerichtet als auf polierte Kanten und Kontraste.

Die Reverenz an Nonos 1980 entstandenes Quartett ist allerdings auch ein Signal: Achtung, wir lieben Neue Musik! Und so ereignete sich am Dienstagabend im Mozartsaal, was in den Konzerten der SKS Russ nicht eben häufig ist: die Aufführung eines längeren zeitgenössischen Stücks. Clara Iannottas „Dead Wasps in the Jam-Jar“ („Tote Wespen im Marmeladenglas“), in seiner letzten Version 2018 uraufgeführt, spielt, auf fast keusche Weise klangfarblich bereichert und gestützt von Elektronik, mit summenden Naturklängen, experimentiert mit unterschiedlichen Arten von Bogendruck und Bogenführung, zelebriert Gleitbewegungen im Pianissimo. Die Fähigkeit des Pariser Quartetts zur Synchronisation nicht nur seiner Bewegungen, sondern auch seiner Empfindungen, trägt hier reiche Früchte.

Arabisches und Wienerisches

Und vollends zu Hause sind die vier Franzosen, die eine Mutterschaftsvertretung in der zweiten Geige bis auf wenige allzu zurückhaltende Aktionen des Einspringers exzellent verkraften, bei Béla Bartók. Dessen sechs Streichquartette hat das Quatuor Diotima in diesem Jahr als CD-Box herausgebracht. Man meint ihre tiefe Vertrautheit mit Bartóks Musik nun zu hören. Die Musiker beleben dessen zweites Quartett von innen heraus. Vor allem die arabischen Momente im zweiten Satz, denen ein bisserl Wienerische Gemütlichkeit untergeschoben wird, werden auf bezaubernde Weise zu Klang – dass die packende gemeinsame (Unisono-)Passage intonatorisch nicht auf den Punkt koordiniert wirkt, ist Teil der Ensemble-Identität, denn auch um Perfektion geht es dem Quatuor Diotima höchstens indirekt. Ein Fest der Sekundreibungen und fallenden Gesten ist das Finale des Bartók-Quartetts.

Beethovens op. 131 am Ende, dessen Bedeutung und Wirkung die Streicher nicht mit einer Zugabe entkräften mögen, ist ein Meisterwerk, das hier besonders von delikaten klangfarblichen Abtönungen lebt. Kleiner Einwand auf hohem Niveau: Ein bisschen weniger moderat hätte das Quatuor Diotima das cis-Moll-Werk aber ruhig angehen dürfen, ein bisschen mehr Individualität und Disparatheit hätte Beethoven nicht nur ertragen, sondern ausgesprochen gut getan.