Auf der Straße, die zur Tankstelle von Thorsten Bachofer führt, ist nicht viel los. Foto:  

Auf einmal ist die Tankstelle auf dem Esslinger Zollberg im Abseits. Was passiert, wenn Baustellen und Straßensperrungen das Geschäft zunichte machen? Thorsten Bachofer, der eine freie Tankstelle auf dem Zollberg betreibt, kann ein Lied davon singen.

Esslingen - Die Software könnte mal wieder überholt werden. Die Werkstatt würde sich über eine modernere Ausstattung freuen. Und auch dem Servicebereich würde eine Verjüngung nicht schaden. Doch seine Investitionsideen hat Thorsten Bachofer „längst auf Eis gelegt“, wie er sagt. „Ich bin ja schon froh, wenn nichts kaputt geht“, sagt der 49-jährige Berkheimer. Denn seiner Tankstelle und Werkstatt Betz Automobile auf dem Esslinger Zollberg sind in letzter Zeit die Kunden abhanden gekommen. Waren es früher noch rund 400 Autos, die seinen Arbeitsplatz im Schnitt täglich anfuhren, so sind es heute „deutlich weniger“, sagt der Geschäftsführer, „manchmal nur 250“.

Dafür kann sich Bachofer nicht einmal an die eigene Nase fassen. Schuld daran sind die vielen Baustellen und Straßensperrungen rund um den Zollberg, den Festo- und den Linde-Knoten. Der traurige Höhepunkt des seit dem Sommer 2017 dauernden Baumarathons: Seit Mitte April ist die Zollbergstraße, die vom Stadtzentrum auf die Fildern und in Richtung Autobahn 8 führt, vollständig gesperrt – voraussichtlich für fünf Monate.

Dass seine Kunden lieber die Shell-Tankstelle hinter Berkheim ansteuern oder gleich bei ihrem Arbeitsplatz tanken, kann Bachofer gut verstehen. „Nach Feierabend will doch jeder nur noch nach Hause und keine Staus oder Umwege in Kauf nehmen“, sagt er. Daran änderten auch die tendenziell günstigeren Benzinpreise seiner freien Tankstelle nicht viel.

Kaum noch Kunden unter der Woche

Ganz ähnlich geht es der Weinhandlung Musketier in der Krummenackerstraße, die seit Mitte März aufgrund der einseitigen Sperrung der Geiselbachstraße vom Zentrum aus nur noch über den Stadtteil Sulzgrieß erreicht werden kann. Unter der Woche kämen kaum noch Kunden vorbei, sagt die Inhaberin Nathalie Höwner. „Meine Kunden entschuldigen sich bei mir. Der Umweg würde sie 20 Minuten kosten, sagen sie. Daher greifen sie lieber zu Supermarkt-Wein.“ Höwner will nun deshalb ihre Öffnungszeiten reduzieren und stärker auf das Wochenende hin konzentrieren, wie sie sagt – zumal die Geiselbachstraße vom Frühjahr 2020 an für voraussichtlich 15 Monate sogar voll gesperrt sein dürfte. Die Unternehmerin ist froh, dass sie einen Partner mit einem zuverlässigeren Einkommen an ihrer Seite hat. „Ich hätte ein Problem, wäre ich von diesem Geschäft abhängig.“

Zumal die Aussichten auf Schadenersatz gegen null gehen. „Die Stadt Esslingen geht grundsätzlich nicht auf Schadenersatzforderungen wegen Umsatzeinbußen infolge von Baustellentätigkeiten ein“, teilt die Pressestelle der Stadt Esslingen mit. Sie weiß das Gesetz auf ihrer Seite, wonach Lagevorteile nicht geschützt sind, solange der Zugang als solcher nicht beeinträchtigt ist. „Verschlechtert sich eine Lage als Folge von Straßenbaumaßnahmen, besteht kein Anspruch auf Entschädigung“ – vorausgesetzt, die Maßnahme sei notwendig und „verhältnismäßig“ und der Zeitplan werde nicht wesentlich überschritten, heißt es in einem Info-Blatt der Industrie- und Handelskammer (IHK), das diverse Gerichtsurteile zu dem Thema zusammenfasst.

Kaum Aussichten auf Schadensersatz

Das gilt selbst in den Fällen, „in denen der Betrieb durch den Fortfall dieser Vorteile über kurz oder lang eingestellt werden muss“. Es müsse schon „eine Art Enteignung vorliegen, um eine Aussicht auf Schadenersatz zu haben“, stellt Christoph Nold fest, der bei der IHK Region Stuttgart den Bezirk Esslingen-Nürtingen leitet. Er kennt die rege Baustellenkultur in und um Esslingen sehr gut. „Uns ist jedoch kein Fall bekannt, bei dem erfolgreich geklagt wurde“, sagt der Jurist.

Thorsten Bachofer hätte auch nicht mit einer finanziellen Unterstützung gerechnet. Er hätte sich jedoch gewünscht, im Vorfeld der Straßensperrungen von der Stadt frühzeitig informiert zu werden. „Dann hätte ich mich wirtschaftlich besser darauf einstellen können. Dann hätte ich auch meine Kunden im Vorfeld informieren können“, sagt er. Vielleicht wäre der eine oder andere Kunde seiner Tankstelle eher treu geblieben. „Autofahrer hassen Überraschungen im Verkehr und schätzen Planungssicherheit“ – das ist Bachofer bewusst.

Stadt hat Informationspflicht

Tatsächlich hat die Stadt bei Straßensperrungen eine Informationspflicht. „Wir haben Anlieger angeschrieben und zu Informationsveranstaltungen eingeladen“, sagt der Sprecher der Stadt, Michael Botsch. Allerdings habe man nur Anlieger „im Baufeld“ angeschrieben, nicht aber umliegende Betroffene. Botsch verweist auf die Pressemitteilungen und die Webseite der Stadt, auf der alle Baustellen und deren Dauer dargestellt sind und kurzzeitige Änderungen bekannt gegeben werden. Dass die Prognosen am Ende nicht immer stimmten, sei der Baubranche zuzuschreiben, so Botsch. „Angesichts der Konjunktur kann es vorkommen, dass sich Baufirmen nicht immer an die vereinbarten Verträge halten können.“

Die Stadt scheint ihr Möglichstes getan zu haben, um die Bauarbeiter am Zollberg zur Eile zu treiben. „Die Ausschreibung erfolgte mit Beschleunigungszuschlag und Vertragsstrafe: Sollten die Arbeiten schneller abgewickelt werden können, erhält die Firma von der Stadt einen Zuschlag. Braucht sie länger, muss sie eine Strafe zahlen“, sagt Botsch.