In Bangkok gibt es an jeder Straßenecke Essensstände. Foto: dpa

Die Hauptstadt Thailands verliert ihren Charakter, weil immer mehr Straßenhändler vertrieben werden.

Bangkok - Hear Dum beugt sich über seine große Pfanne und bereitet die Spezialität, für die die Kunden Schlange stehen. Abend für Abend. Phat Thai heißt das Gericht aus Reisbandnudeln und kleinen getrockneten Garnelen, das den Mann und seinen gleichnamigen Stand (auf Deutsch etwa: „Alter Schwarzer Bruder“) nicht nur in Thailands Hauptstadt Bangkok, sondern über die Grenzen des südostasiatischen Königreichs hinaus bekannt gemacht hat. Hear Dum zelebriert seine Kochkünste in der Manier eines kulinarischen Gelehrten.

Hear Dums Stand liegt eingezwängt in einem kleinen Seiteneingang an der Soi 38 neben der Hochbahnstation Thonglor in einer ungemütlichen Ecke – umgeben von Blechbarrieren, die einen Hochhausbau abschirmen. Die anderen Händler, die früher entlang der schmalen Gasse auf Plastiktellern Speisen und Getränke in Metallbechern kredenzten, sind bereits in die Garage eines Apartmentgebäudes umgezogen. „Was sollen wir nur machen?“, fragt die Frau auf der gegenüber liegenden Straßenseite, die hinter einem Berg gelber Mangos steht, für den ihr Stand Meow (Katze) berühmt ist. Denn die Tage Tausender von Garküchen und Straßenstände in Bangkok sind gezählt.

Bangkok verliert seinen sympathischen Mix aus Chaos und wuseligem Gedränge

Die ungebremste Bauwut der Verkäufer von Eigentumswohnungen verdrängt Bangkoks Garküchen und Tausende von Straßenhändlern. Doch weitaus verheerender ist die Ordnungswut der Behörden unter der seit 2014 herrschenden Militärjunta. Nun steht der Räumungstermin: Ab 17. April müssen alle Garküchen in der Vergnügungsmeile Thonglor und den benachbarten Straßen Ekkamai und Soi 71 von Phrakanong verschwinden. „Die Bürgersteige sind für Fußgänger da, nicht für Garküchen und Straßenhändler“, heißt es bei der Stadtverwaltung.

Die Verwaltung wird von einem Offizier geleitet, seit der gewählte Gouverneur unter fadenscheinigen Korruptionsvorwürfen gefeuert wurde. Insgesamt 15 000 Straßenhändler wurden bereits ihrer Existenz beraubt, seit Bangkoks Stadtväter beschlossen haben, die Rotlichtviertel Patpong, Nana und andere Regionen der insgesamt 15 Millionen Bewohner zählenden Metropole zu räumen. Auch entlang des Flusses Chao Praya ersetzen neue Einkaufscenter mit Starbucks und anderen Shops zunehmend die kleinen Restaurants, in denen Familien seit Generationen Überschwemmungen und Gestank getrotzt haben. Selbst Chinatown soll bald dem Beispiel des benachbarten Blumenmarkts folgen und aufgeräumt werden. Bangkok verliert seinen sympathischen Mix aus Chaos, trickreichem Erfindungsreichtum und wuseligem Gedränge.

Bangkok ist zu einer der Metropolen mit den besten Garküchen gewählt worden

Inzwischen knattern auf der Thonglor-Straße, dessen Polizeistation als eine der korruptesten der Stadt gilt, die Auspuffrohre der Ferrari und Porsche reicher Thailänder. Im Kriechtempo chauffieren sie ihre Luxusschlitten über die Meile. Betuchte Ausländer vertilgen hier frische, aus Frankreich oder Japan importierte Austern in einem Weinrestaurant. Ein Armee- und ein Polizeigeneral sind Teilhaber des Lokals und sorgen mit ihren Beziehungen dafür, dass es als einziges bis zum frühen Morgen offen bleiben darf. Garküchen und Händler, die daneben ihr billiges Bier verkaufen wollen, stören in dieser Umgebung nur.

Erst im vergangenen Jahr ist Bangkok zu einer der Metropolen mit den besten Garküchen der Welt erkoren worden. Ausgerechnet hier geht es nun den kleinen Straßenrestaurants an den Kragen. Doch nicht nur das: Mit dem Aus für die Garküchen stirbt auch die siamesische Variante der Tellerwäscher-Sage aus. Dank der schnell zusammengebastelten Stände hielten sich 1997 Tausende Thailänder nach der vom Königreich ausgelösten Finanzkrise finanziell über Wasser, nachdem sie über Nacht ihren Job verloren hatten.

Viele kleine Wohnungen haben längst keine Küche mehr

Selbst einer der bekanntesten Milliardäre Thailands hatte einst in den 60er Jahren als Betreiber einer Garküche in Bangkok begonnen. Dann gründete Charoen Sirivadhanabhakdi den Konzern Thai Beverage, vertreibt dort den berühmten Mekhong Rum und ist inzwischen Thailands größter Großgrundbesitzer und Baulöwe. In den vergangenen Jahren veränderte er gemeinsam mit anderen Baulöwen die Lebensgewohnheiten. Viele kleine Wohnungen und Studios in Bangkok haben längst keine Küche mehr. Der Grund: Hunderttausende von Thailändern, die in der thailändischen Metropole arbeiten, versorgen sich ausschließlich bei Garküchen. Dies könnte nun ein Ende haben.