Hinter Gittern muss sich einiges ändern, meinen Vollzugsexperten – hier Stuttgart-Stammheim. Foto: dpa

Der Vollzug stöhnt über zunehmend aggressive Häftlinge. Eine Kommission gibt der Regierung nun Empfehlungen, wie sie damit umgehen soll – zeigt ihr aber auch Grenzen des Möglichen auf.

Stuttgart - Vollzugsfachleute sehen die im Zusammenhang mit dem Hungertod eines Bruchsaler Häftlings diskutierten Zwangsmaßnahmen äußerst skeptisch. Das Justizvollzugskrankenhaus auf dem Hohenasperg wäre zur Zwangsernährung eines Gefangenen „derzeit nicht in der Lage“, heißt es in einem Abschlussbericht einer hochrangig besetzten Kommission, die von Justizminister Rainer Stickelberger nach dem Bruchsaler Todesfall eingesetzt worden war.

Für „fraglich“ halten es die Experten aber auch, ob ein externes Krankenhaus dazu in der Lage wäre – bei „Gefangenen, die sich körperlich heftig wehren“. Ärzte und Pfleger müssten solche Einsätze trainieren, was mit beträchtlichen Kosten verbunden sei. Deshalb schlägt die Kommission langfristig eine länderübergreifende Lösung vor.

Für hilfreich hält sie aber in jedem Fall, solche heikle Eingriffe auf eine neue gesetzliche Grundlage zu stellen. Eine Reform des Strafvollzugsgesetzes könnte sich dabei am hessischen Vorbild orientieren.

Ärzte lehnen Zwangsernährung ab

Nach dem Hungertod eines Bruchsaler Häftlings am 9. August 2014 war Stickelberger wiederholt mit der Frage konfrontiert worden, warum die Gefängnisleitung und die diensthabende Ärztin keine Zwangsernährung angeordnet hatten. Zu diesem Mittel hatte der Vollzug zuletzt in den 1980-er Jahren beim Hungerstreik von RAF-Gefangenen gegriffen.

Dies sei jedoch rechtlich nur möglich, wenn bei einem Gefangenen nicht von einem „natürlichen“ Willen ausgegangen werden kann, den es laut Bundesverfassungsgericht zu respektieren gelte, heißt es in dem Bericht. Der Weltärztebund lehnt Zwangsernährung ab, weil sie in Unrechtsstaaten zur Folter eingesetzt wird.

Abgesehen von solch extremen Fällen sehen die Fachleute aber durchaus Möglichkeiten, den schwierigen Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen zu erleichtern. Dazu zählt vor allem eine nennenswerte Aufstockung des Personals, was die Kommission bereits in einem Zwischenbericht im Mai erläutert hatte.

Nicht alle 42 Empfehlungen kosten Geld

So sollen zumindest die großen Anstalten mit mehr als 400 Haftplätzen eine zweite Arztstelle erhalten, aber auch niedergelassene Mediziner sollen häufiger konsultiert werden. Mehr Psychologen, mehr Sozialarbeiter, eine „erhebliche personelle Verstärkung“ des allgemeinen Vollzugsdienstes – setzte Minister Stickelberger all diese Vorschläge um, würde dies elf Millionen Euro zusätzlich im Jahr kosten.

Erste Maßnahmen will er dem Landtag aber bereits in einem Nachtragshaushalt in diesem Herbst vorschlagen. Die Abgeordneten werden sich dem fünf Millionen Euro teuren Maßnahmepaket angesichts der brisanten Lage in den Haftanstalten auch kaum verschließen können. Der Kommission zufolge weisen immerhin bis zu 70 Prozent aller Gefangenen im Land eine psychische Störung auf.

Allerdings schlagen nicht alle der insgesamt 42 Empfehlungen finanziell zu Buch, da einige auch mit dem verfügbaren Personal umgesetzt werden können. Außerdem empfehlen sie, in einem Modellprojekt ein Ethikkomitee zu bilden, das dem Vollzug Ratschläge gibt. Wichtig sei auch, die Vollzugsbediensteten fortzubilden.

Bloß nicht!

Von einigen der öffentlich diskutierten Maßnahmen raten die Experten sogar ausdrücklich ab. So halten sie es nicht für hilfreich, psychisch auffällige Gefangene in gesonderten Vollzugsanstalten unterzubringen: „Eine Einweisung dorthin würde die Gefangenen stigmatisieren“, lautet ein Gegenargument.

Angesichts der großen Zahl der psychisch angeschlagenen Häftlinge würde ein einziges Sondergefängnis außerdem nicht ausreichen. Und dass die Bevölkerung ein solches Haus klaglos in ihrer Nähe akzeptiert, erwarten die Fachleute angesichts der jüngsten Erfahrung mit dem geplanten Bau eines Großgefängnisses im Land auch nicht.

Im Sinne von Inklusion sei vielmehr eine Mischung von psychisch auffälligen und anderen Gefangenen einer Trennung vorzuziehen, heißt es in dem mehr als 100 Seiten umfangreichen Bericht. Auch im Jugendstrafvollzug sollten auffällige Gefangene nicht herausgenommen werden. Allerdings müsse die Zahl der Haftplätze in einem neuen Justizvollzugskrankenhaus erhöht werden.

Stickelberger hatte die Kommission im Dezember 2014 einberufen. In ihr sitzen neben Abgeordneten und Vertreter von Ministerien auch Praktiker aus dem Strafvollzug, Psychiater sowie Personalvertreter.