Die Initiativgruppen in der Stadt suchen neue Impulse und neue Helfer. Dazu läuft am Wochenende eine Open-Space-Konferenz im Bildungszentrum Hospitalhof.
Stuttgart - 17 Jahre ist es her, dass in Stuttgart die erste Stolperstein-Initiative gegründet wurde. 2003, vier Jahre später, installierte der Kölner Künstler Gunter Demnig in der Landhausstraße in Stuttgart-Ost die ersten Kleindenkmale. Das war der Auftakt einer gewaltigen ehrenamtlichen Arbeit, die bis heute etwa 850 Mahnmale gegen Rassismus, Antisemitismus und Nazismus in Stuttgarts Pflaster platziert hat.
Hinter jedem dieser Stolpersteine steht das Schicksal eines oder mehrerer Menschen, die durch das verbrecherische Nazi-Regime ihr Leben verloren haben. An diese Schicksale erinnern die Stolpersteine, die recherchierten Geschichten dazu sind im Internet-Auftritt von Stolpersteine Stuttgart nachzulesen. Meist sind es ausführliche Biografien von verschleppten und ermordeten Juden, Sinti, Widerständlern, Deserteuren oder Zwangsarbeitern, verknüpft an den Ort, wo sie zuletzt gelebt haben. Durch die Steine wird Geschichte personalisiert und bleibt vor allem bei jungen Leuten eindrücklicher haften, als das Auswendiglernen von nackten Zahlen aus dem Geschichtsbuch. 16 Initiativgruppen kümmern sich in Region Stuttgart um die Arbeit, die „natürlich auch in Zukunft weitergehen wird“, wie Rainer Redies von Stolpersteine Stuttgart erklärt.
Zweimal im Jahr werden auch künftig Stolpersteine verlegt, aber die ehrenamtliche Initiative ist auf der Suche nach frischem Wind, nach neuen Ideen und nach Unterstützung. Viele Mitglieder waren bereits zu Beginn der Aktion vor 17 Jahren im Rentenalter, dazu drängen Fragen wie zum Beispiel die, wie man die auf vielen Rechnern und Aktenordnern verteilten Rechercheergebnisse sinnvoll zusammenführen kann. „Wir stellen uns nach der langen Zeit die Frage: Wie geht es weiter?“ erklärt Rainer Redies.
Die Frage heißt: Wie geht es weiter?
Es geht also um das Wie, nicht um das Ob, das ist unstrittig. Und dieses Wie soll am 15. und 16. Juli im Evangelischen Bildungszentrum Hospitalhof in einer Open-Space-Konferenz diskutiert werden. Open Space bedeutet, dass es bei der Konferenz keine vorgegebenen Themen gibt. Wer eine Idee hat, gründet eine Arbeitsgruppe und diskutiert mit allen, die mitmachen wollen. Diese Methode wurde unter der Prämisse entwickelt, dass die konstruktivsten Ideen bei Konferenzen oft spontan in den Pausen entstehen.
Zeitzeugen gibt es bald keine mehr
Die Initiative hofft, dass sich viele gute Ideen herauskristallisieren werden. Und sie hofft, dass sich die Stadt noch mehr einbringt. Man sei zwar sehr dankbar, dass das Tiefbauamt zum Beispiel seit 2006 die Vertiefungen für die Stolpersteine vorbohrt, man würde sich aber über mehr Engagement künftig freuen. Etwa 70 Anmeldungen liegen für die Konferenz vor, teilnehmen kann jeder, auch noch spontan am Wochenende.
Neue Wege werden also gesucht. Am Prinzip einer Geschichtsvermittlung, die Werten wie der Menschenwürde dient, hält man freilich fest. Und auch daran, dass man besonders junge Menschen erreichen will, denen man immer weniger Zeitzeugen präsentieren kann, weil es bald keine mehr gibt. Die gelebte Erinnerung an die Zeit zwischen 1933 und 1945 verblasst mehr und mehr. Neue Formen der Vermittlung werden gesucht und Antworten auf ganz pragmatische Fragen wie zum Beispiel die: Nehmen junge Leute, die meist mit dem Smartphone vor dem Gesicht durch die Stadt gehen, die Steine überhaupt noch wahr?
All das soll am Wochenende diskutiert werden. Und dann geht die Arbeit weiter – die nächsten Schicksale werden dokumentiert, die nächsten Stolpersteine im September verlegt.
Open-Space-Konferenz im Hopitalhof, Büchsenstr. 33, Freitag 19 bis 21 Uhr mit einem Impulsvortag von Tim Schleider, Ressortleiter Kultur unserer Zeitung, Samstag 10 bis 17 Uhr. Unkostenbeitrag 25 Euro, ermäßigt 12,50 Euro.