Foto: Susanne Müller-Baji

Der Künstler Gunter Demnig hat im Stuttgarter Norden Orte der Erinnerung geschaffen.

S-Feuerbach/Weilimdorf - Grafeneck liegt auf einer Anhöhe, umgeben von Wäldern, ein Ort der Ruhe – und Ort eines unfassbaren Verbrechens: 1940 wurden hier 10 654 Menschen mit Behinderungen vergast. An zwei von ihnen erinnern nun Stolpersteine an der Feuerbacher Baldernstraße und oberhalb der Weilimdorfer Kimmichstraße. Der Künstler Gunter Demnig war gekommen, um die Steine zu verlegen.

Zum Ortstermin an der Baldernstraße kommt Demnig in voller Montur – inklusive eines Schutzes am rechten Knie. Er ist routiniert im Verlegen von Stolpersteinen: Rund 60 000 gibt es inzwischen in 21 Ländern. „Zuletzt ist Litauen dazugekommen – die haben es sich ziemlich lange überlegt“, berichtet Demnig. Rund 95 Prozent der Mahnmale hat er in den vergangenen 20 Jahren selbst verlegt. Allein an diesem Donnerstag werden es 16 Stück in Stuttgart und Umgebung sein.

Im Dezember 1940 besiegelte das Wort „verlegt“ ihr Schicksal

Ein solcher Marathon bedarf eines straffen Zeitplans. Hildegard Wienand von der Stolperstein-Initiative begleitet die Feuerbacher Zeremonie; ihr Mann Heinz Wienand wird eine halbe Stunde später in Weilimdorf zur Tat schreiten. Der Stolperstein an der Baldernstraße 4 erinnert an Aloysia Futterer (1885 bis 1940). Ihre Mutter hatte den Butter- und Eierhandel am Ort geführt und – damals ungewöhnlich für eine Frau – sogar einen eigenen Eintrag im Adressbuch gehabt. Sonst ist wenig bekannt, außer dass Aloysia mit 19 Jahren zum ersten Mal wegen einer Demenz-Erkrankung und Schizophrenie in eine Heilanstalt kam. Im Dezember 1940 besiegelte das Wort „verlegt“ ihr Schicksal. Die auf den Listen so gekennzeichneten Patienten wurden unter dem Vorwand einer Ausflugsfahrt mit den berüchtigten grauen Bussen abgeholt und in Schloss Grafeneck in einer umgebauten Garage vergast.

Zur Zeremonie kam auch eine kleine Abordnung des Bhz (ehemals Behindertenzentrum) und legte Blumen am Stolperstein nieder. Demnig war da schon auf dem Weg zum nächsten, geschichtsträchtigen Ort: Oberhalb der Weilimdorfer Kimmichstraße, auf dem Hopplaweg verlegte er einen Stolperstein für Gotthilf Raith (1903 bis 1940). Auch dieser hatte in der Gaskammer von Grafeneck den Tod gefunden – am selben Tag wie Aloysia Futterer. Er kam jedoch aus einer anderen Anstalt.

Mit jedem Stolperstein soll einem Opfer ein Stück Menschenwürde zurückgegeben werden

Das Haus, in dem er gelebt hat, gibt es heute nicht mehr, wohl aber den Namen Hopplaweg, der übrigens auf Raiths Mutter Christiane, genannt „Hoppla“, zurückgeht: ein Weilimdorfer Original, das wegen der stets zu großen Schuhe oft gestrauchelt sei und dabei immer „Hoppla“ gerufen habe, wie Wienand erzählte. Dass der Stolperstein nun auf dem steilen Hopplaweg verlegt wurde, ist ein bemerkenswertes Zusammentreffen, rührt aber auch an, weil das Andenken an Mutter und Sohn so das längst abgerissene Wohnhaus überdauert hat.

Der Musiker Detlef Jensen untermalte die Zeremonie mit dem Saxophon; Wienand blickte in die Ortsgeschichte zurück. Und ein Gast erzählte von seinem ehrenamtlichen Engagement für die Diakonie Stetten und wie sich das einstige Verstecken und Wegsperren hin zu Inklusion und Förderung gewandelt habe.

Mit jedem Stolperstein soll einem Naziopfer ein Stück Menschenwürde zurückgegeben werden, lautet die Zielsetzung von Gunter Demnig für sein Projekt. Darüber hinaus könne aber jeder dazu beitragen, dass Menschen mit Behinderungen heute nach ihren Möglichkeiten gefördert werden.