Gunter Demnig bei einer früheren Stolperstein-Verlegung: Inzwischen gibt es in Stuttgart davon mehr als 500 dieser eingelassenen Messingtafeln mit Inschrift. Foto: Archiv/Katharina Kraft

Am Donnerstag verlegt Gunter Demnig in der Lerchenstraße einen Stolperstein für Ludwig Weißenburger, der wegen seiner epileptischen Anfälle zwangssterilisiert und schließlich im KZ Dachau ermordet wurde.

S-West - Wenn man von einem Menschen sagen darf, dass sein Leben unter einem schlechten Stern stand, so trifft dies sicherlich für Ludwig Weißburger zu, der am 28. Januar 1905 in Kochendorf geboren wurde.“ Mit diesen Worten beginnt Wolfgang Kress von der Initiative Stolpersteine Stuttgart-West die Lebensgeschichte des deportierten Stuttgarter Juden Ludwig Weißburger. Am Donnerstag, 27. Oktober, wird zur Erinnerung an den im Konzentrationslager Dachau Ermordeten in der Lerchenstraße 28 ein Stolperstein verlegt. Der Kölner Künstler Gunter Demnig wird das Mahnmal gegen 11.40 Uhr verlegen. In Stuttgart gibt es mittlerweile mehr als 500 Stolpersteine, die an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der „Euthanasie“-Opfer im Nationalsozialismus erinnern.

Die Geschichte von Ludwig Weißburger hat Wolfgang Kress niedergeschrieben. Der Historiker und Journalist hat dafür im Stadtarchiv Stuttgart, im Bürgerhospital, im Archiv der Diakonie Pfingstweid sowie im Landesarchiv Ludwigsburg geforscht.

Patienten kommen zu Tode

Nach Kress’ Recherchen war der Waisenjunge Ludwig Weißburger zunächst von einem Onkel aufgenommen worden. Mit mit sechs Jahren reichte man ihn ins Israelitische Waisenhaus nach Esslingen weiter, wo er die Schule besuchte und eine Schneiderlehre absolvierte. Um seine Gesundheit sei es von Anfang an schlecht bestellt gewesen, ab etwa dem 13. Lebensjahr habe er zusätzlich an epileptischen Anfällen gelitten. Trotzdem ging der Geselle auf Wanderschaft und arbeitete dabei zeitweise in Horkheim. Fast täglich litt er nun unter epileptischen Anfällen und wurde deshalb an Weihnachten 1924 in die Nervenklinik der Universität Heidelberg eingewiesen. Nach seiner Entlassung zog er zu seinem Vetter Wilhelm Weißburger nach Stuttgart in die Lerchenstraße 28 und arbeitete in dessen Ofen- und Herdhandlung.

Wegen epileptischer Anfälle wurde Ludwig Weißburger 1927 wiederholt ins Bürgerhospital eingewiesen und schließlich wegen Depressionen in die Heilanstalt Stetten im Remstal, wo er auch Arbeiten als Hilfspfleger übernehmen konnte, schreibt Kress. Weißburger beklagte dort alarmierenden Vorfälle, bei denen mehrere Patienten zu Tode gekommen sein sollen und legte sich deswegen mit den Pflegern an. 1930 wechselte er aus diesem Grund wieder ins Bürgerhospital. Die Ärzte im Bürgerhospital hielten jetzt eine Einweisung in eine geschlossene Anstalt für nötig und überwiesen Weißenburger 1931 in die „Pflege- und Bewahranstalt Pfingstweide“ Tettnang.

Vernichtung durch Arbeit

Kress fand heraus, dass Weißenburger auf Anordnung des NS-Erbgesundheitsgerichts Ravensburg als „erbkrank“ zwangssterilisiert wurde. Danach beantragte Georg Geckeler, „Hausvater“ in Pfingstweide, Weißburgers Entlassung: Der Patient sei nun auf Arbeitsmarkt voll einsatzfähig. Dank der Unfruchtbarmachung stünde einer Freilassung nichts mehr im Wege. Weißenburger kehrte nach Stuttgart zurück und arbeitete im Baugeschäft Mutschler an der Rosenbergstraße 109. Das letzte eigenhändige Lebenszeichen von Ludwig Weißburger, das Wolfgang Kress finden konnte, ist ein Brief, den er im Mai 1941 an „Hausvater“ Geckeler sandte und der sich im Archiv der Diakonie Pfingstweid in Tettnang erhalten hat: Sein neuer Meister in Stuttgart, schreibt Weißenburger, sei „sehr entgegenkommend, nur die Arbeit ist sehr streng, aber man macht es gern, wenn die Menschen nett sind.“

Ludwig Weißburger fand am 16. Februar 1945 im Dachauer Außenlager Kaufering IV bei Hurlach den Tod. Die Häftlinge dort mussten beim Bau einer unterirdischen Waffenfabrik Schwerstarbeit leisten. Wegen der menschenunwürdigen Unterbringung, aufgrund von Hunger, Kälte und Typhus, der Ausbeutung der Arbeitskraft bis zur Vernichtung, bezeichneten die Häftlinge die Lager von Kaufering als „kaltes Krematorium“.

Weitere Stolperstein-Verlegungen

Gunter Demnig wird am Donnerstag mehrere Stolpersteine in der Innenstadt verlegen. Der Schwerpunkt liegt bei diesem Mal bei kranken und behinderten Opfer des „Euthanasie“-Massenmords, von denen viele nach Grafeneck deportiert wurden.

Um 11.30 Uhr verlegt Demnig in S-Nord, Parlerstraße 36, einen Stein für Carl Eisig, der 1942 in Salaspils ermordet wurde. Um 11.50 Uhr wird in S-West der Stein für Ludwig Weißenburger verlegt. Um 12.10 Uhr kommt in Mitte, Esslinger Straße 5, der Stein für Emma Keim in den Asphalt, die 1940 in Grafeneck umgebracht wurde. Sechs Steine werden um 12.30 Uhr in Mitte, Rosenstraße 41, für die Familie Lampelz verlegt. Für zwei Euthanasie-Opfer, die beide 1940 in Grafeneck getötet wurden, werden in S-Ost jeweils Steine verlegt: für Maria Schiller um 13.30 Uhr am Luisenplatz 6 und für Berta Groß um 13.45 Uhr an der Abelsbergstraße 40.