Gunter Demnig hat bereits Zehntausende Stolpersteine verlegt. Foto: Müller-Baji

Der Künstler Gunter Demnig verlegt am Donnerstag einen Stolperstein im Stuttgarter Norden. Er erinnert damit an das Schicksal von Julie Heilbronner.

S-Nord - Ein ovales Porträt zeigt Julie Heilbronner, geborene Homburger, einen Brief lesend vor einem Blumenstrauß. Sie wirkt im besten Sinne wie eine Frau wie viele andere. Und doch befindet sich die Aufnahme heute im Bestand des Ludwigsburger Staatsarchivs: Wie viele andere Juden ist sie von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet worden. Am Donnerstag verlegt Gunter Demnig vor dem Gebäude Hölderlinstraße 35 einen Stolperstein für sie – es ist bereits der dritte an dieser Stelle.

 

Ortstermin mit Künstler: Gunter Demnig ist im Verlegen von Stolpersteinen längst routiniert. Zahllose Steine muss er bereits verlegt haben, in 21 Ländern, seit er das Projekt Stolpersteine 1995 in dieser Form initiiert hat. So um die 70 000 werden es inzwischen sein, schätzt Ute Ghosh vom „Initiativkreis Stolpersteine für Stuttgart-Nord“. Sie hat die Nachforschungen zum Leben von Julie Heilbronner übernommen und stand dazu auch mit deren Nachfahren in Kontakt.

Zur Verlegung begrüßt sie nun sogar Gäste aus Israel: Enkel Abraham Havron, als Gerhard Heilbronner noch in Stuttgart geboren, sowie vier weitere Nachfahren. Außerdem hat eine Klasse des nahe gelegenen Hölderlin-Gymnasiums ihr Kommen angekündigt. Für die Familie muss es freilich ein besonders schwerer Besuch sein: Vor dem Gebäude gibt es bereits zwei 2006 verlegte Stolpersteine, von Havrons Tante Rosalie und deren Ehemann Ludwig Georg Meyer. Andererseits werden die Gedenkorte dafür sorgen, dass diese Schicksale nicht in Vergessenheit geraten und mancher wird zum Nachdenken angeregt.

Mit Blick auf die Stolperstein-Verlegungen in Mitte, Nord, Feuerbach und – besonders schockierend – für ein zwei Monate altes Kind in Neuwirtshaus, erzählt Ute Ghosh von ihrem bisweilen belastenden Engagement in Sachen Erinnerung: „Manchmal könnte man den Glauben an die Menschen verlieren“, sagt sie. Sie habe deshalb einige Zeit pausiert, fühlt sich nun aber verpflichtet, weiterzumachen: „Die Jungen sagen heute, wir hatten damit nichts zu tun. Aber es ist wichtig, vor allem, wenn man sieht, was heute wieder alles passiert.“ Sie erzählt, dass man sich über weitere und vor allem auch jüngere Ehrenamtliche freuen würde, ob sie sich in die Recherche einbringen oder die Stolpersteine in Stand halten.

Am Schicksal Julie Heilbronners und ihrer Angehörigen lässt sich die schrittweise Entrechtung jüdische Mitbürger erkennen: Bereits 1933 war Sohn Edgar Jacob Heilbronner und seiner Frau Anna die Kassenzulassung für ihre Praxis entzogen worden; das Paar und seine drei Kinder, darunter auch der kleine Gerhard Heilbronner, floh nach Palästina. Tochter Charlotte und ihr Mann Karl Schwabe wurden 1938 gezwungen, ihr Ladengeschäft weit unter Preis zu verkaufen und emigrierten in die USA. Die bereits verwitwete Julie Heilbronner blieb mit Tochter Rosalie und Schwiegersohn in Stuttgart zurück, auch als die Enkelin Hilde im selben Jahr ins brasilianische São Paulo floh.

Es ist unklar, ob Julie Heilbronner die Flucht nicht mehr auf sich nehmen und Tochter Rosalie ihre Mutter nicht im Stich lassen wollte. Jedenfalls bezahlten die drei ihr Zögern mit dem Tod – künftig zeugen drei Stolpersteine vor dem Gebäude davon.

Das Ehepaar Meyer wurde 1942 in Izbica ermordet. Julie Heilbronner selbst wurde mit 77 Jahren erst mit anderen älteren Juden ins Gemeindearmenhaus nach Tigerfeld gebracht, kam vor dort aus zurück in das Sammellager der Ausstellungshallen Killesberg, wurde mit rund 1100 weiteren Opfern erst nach Theresienstadt und nach vier Wochen nach Maly Trostinec, eine Vernichtungsstätte nahe Minsk, deportiert. Dort wurde sie am 31. Dezember 1945 für tot erklärt.

Aktion am 15. November

Der Stolperstein für Julie Heilbronner wird am Donnerstag, 15. November, gegen 11.15 Uhr vor dem Gebäude Hölderlinstraße 35 verlegt. Wissenswertes zur Mitarbeit und zu den einzelnen Stolpersteinen findet man bei www.stolpersteine-stuttgart.de, über das Projekt allgemein und Initiator Gunter Demnig bei www.stolpersteine.com. Über den „Tatort Nordbahnhof“ informiert die Seite www.zeichen-der-erinnerung.org.