Der Giebelweg 5 war die letzte Adresse des blinden Karl Kögel. Foto:  

Der blinde Karl Christoph Kögel schlägt sich mit Botengängen und Steineklopfen durch. Als er 1943 krank wird, kommt er nach Zwiefalten – sein Todesurteil. Jetzt wird in Winnenden an das Euthanasieopfer erinnert.

Winnenden - Der Giebelweg ist ein schmales Gässchen, das von der Hauptstraße in Birkmannsweiler abzweigt. Hier hat im Anbau eines Hauses bis zum Februar 1943 Karl Christoph Kögel gewohnt, der im Flecken als „s’Philippa Karl“ bekannt war. Dieser war von Klein auf blind, was ihm schließlich zum Verhängnis wurde. Als der alleinstehende 54-Jährige krank wurde und nicht mehr für sich sorgen konnte, wurde er von einem Arzt als „anstaltsbedürftig“ eingestuft, in die Psychiatrie nach Zwiefalten gebracht und dort zehn Tage später mit Medikamenten ermordet.

„Ich nenne es Mord“, betont der Winnender Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth ausdrücklich, als der Künstler Gunter Demnig vor dem Haus Giebelweg 5 am Montag einen Stolperstein für Karl Christoph Kögel setzt. Denn „s’Philippa Karl“ habe alles richtig gemacht, um sich in die Gesellschaft, in der er lebte, zu integrieren, sagt das Stadtoberhaupt. Dennoch fiel er der menschenverachtenden Ideologie Hitlers und der Nazis zum Opfer.

Der blinde Mann kämpft sich durchs Leben

„Karl Kögel hat für Metzger und Bäcker Waren ausgetragen“, berichtet Hans Kuhnle den Anwesenden. Als ehrenamtlicher Mitarbeiter des Stadtarchivs hat der Mann aus Birkmannsweiler den Lebenslauf Kögels erforscht. Kuhnle kannte noch Nachbarn des stark Sehbehinderten. „Eine Nachbarin berichtete, dass er wohl Hell und Dunkel unterscheiden konnte.“ Neben den Botendiensten wurde Karl Kögel oft beim Steineklopfen gesehen und beim Futterschneiden für Bauern. „Dafür bekam er dann ein Vesper.“

Kögel, der 1879 in Erdmannhausen (heute Kreis Ludwigsburg) geboren worden war, kam mit seinen Eltern als Kleinkind nach Birkmannsweiler, das heute ein Teilort Winnendens ist. Bei den Eltern lebte er, bis sie starben, danach kam er zu seiner Schwester und seinem Schwager in den Giebelweg. Die Schwester war kränklich, das Geld langte hinten und vorne nicht. Schließlich zog die Familie weg, Karl Kögel kam zu Nachbarn, den Philipps, nach denen er genannt wurde.

Euthanasie der Nazis zählt 70 000 Opfer

Die krude und menschenverachtende Vorstellung der Nazis von „unnützen Essern“, die den „Volkskörper schwächen“, führte in der Zeit ihres Regimes zur „Aktion T 4“, wie sie ihr Euthanasie-Projekt verschleiernd bezeichneten. T 4 steht für Tiergartenstraße 4, der Zentrale des mörderischen Unterfangens, Menschen mit psychischen und physischen Behinderungen zu umzubringen. „70 000 Opfer sind so umgebracht worden. Hier in Winnenden wurden viele aus dem Schloss oder der Paulinenpflege mit den grauen Bussen abgeholt“, erinnert der Oberbürgermeister an die Verbrechen, die sich gegen die Schwächsten in der Gesellschaft richteten. Sie wurden in Einrichtungen wie Grafeneck auf der Schwäbischen Alb oder Hadamar in Hessen gebracht, wo sie umgebracht wurden. Als Todesursache wurden meistens Krankheiten wie Lungenentzündung angegeben. Karl Christoph Kögel zählt zu diesen Euthanasie-Opfern.

Der Posaunenchor spielt das Heimatlied zum Gedenken

Der Kultur- und Heimatverein hat aufgrund der Forschungen Kuhnles den Stolperstein für Kögel initiiert. Zum Schluss der Feier spielt der Posaunenchor für ihn eine Strophe des Heimatlieds Birkmannsweiler. „Oh Heimatort am Buchenbach, dein Glockenklang lädt ein, du bist uns ein schützend Dach, wie warmer Sonnenschein“, zitiert Friedrich Seibold, der Vorsitzende des Kultur- und Heimatvereins, den Refrain daraus.