Alte Liebe: Zozu (links) schnäbelt mit ihrem vorjährigen Partner. Weitere Bilder von Nestbau und Geschlechtsverkehr der Störche sowie der Arbeit der Ornithologen zeigt die Bilderstrecke. Foto: Wickert

Die mit einem Sender ausgerüstete Storchendame Zozu ist in ihrem Geburtsort Böhringen gelandet – und hat ihr bereits besetztes Nest zurückerobert. Unser Redakteur Klaus Zintz rekonstruiert ihre abenteuerliche Rückreise.

Böhringen - Es herrscht reger Verkehr in Böhringen, einem Teilort von Radolfzell am Bodensee. Dauernd fliegen Störche zwischen ihren Nestern und umliegenden Wiesen, Feldern, Baumgruppen hin und her – oft mit Ästen und anderem Nistmaterial im Schnabel. „Das war Zozu“, sagt Wolfgang Fiedler plötzlich, als ein Storch vorbeifliegt. Woran er das erkennt? „Ich habe ein Stück der Antenne gesehen“, sagt der Vogelexperte vom Radolfzeller Max-Planck-Institut (MPI) für Ornithologie.

Wir sind mit Wolfgang Fiedler nach Radolfzell gekommen, um die Daten der letzten Wochen aus Zozus Sender zu lesen. Die Storchendame schlüpfte im Frühjahr 2013 hier in Böhringen aus dem Ei. Noch bevor sie flügge wurde, bekam sie einen Ring mit der Nummer AL581 ums Bein gelegt und einen Sender auf den Rücken geschnallt. Seither überträgt sie regelmäßig ein- bis zweimal am Tag ihren jeweiligen Standort per Mobilfunk.


Wir begleiten die Heimreise von Zozu und zwei weiteren Störchen in einem Liveblog.


Weit mehr Daten werden im Speicher des Senders abgelegt. Diese müssen allerdings gezielt abgerufen werden. Das geht nur, wenn Zozu nicht weiter als einen Kilometer entfernt ist – meist muss man sich sogar noch näher heranpirschen. Bei Zozu ist das kein Problem: Sie ist zwar gerade vom ihrem Horst weggeflogen, doch nun stochert sie in den umliegenden Wiesen nach Würmern und anderem fressbaren Kleingetier. So fließen die Daten problemlos in den Speicher des Empfängers.

Vom Winterquartier zurück nach Süddeutschland

In den vergangenen Jahren haben die Vogelexperten des MPI zusammen mit anderen Organisationen hunderte von Störchen mit solchen Sendern ausgerüstet. Darunter sind auch die drei baden-württembergischen Störche Zozu, Ingo und Libi, deren Aktivitäten die Stuttgarter Zeitung in den letzten Wochen intensiv verfolgt. Insbesondere wollen wir sie auf ihrer Reise vom Winterquartier in Spanien zurück nach Deutschland begleiten.

Als unser Spanien-Korrespondent Martin Dahms Anfang Februar Zozu besuchte, ließ sie es sich bei Lleida im Hinterland von Barcelona gut gehen. Doch dann packte sie um den 20. Februar herum das Reisefieber. Zunächst flog sie ein Stück Richtung Osten, legte eine Pause ein, dann ging es zügig weiter entlang der Mittelmeerküste, danach das Rhonetal hinauf Richtung Norden. Dabei machte sie zum Beispiel in Valence mitten in der Stadt in einem Garten Rast. Mit dem Start morgens ließ sie sich regelmäßig Zeit: Vor 10 Uhr lohnt es sich ohnehin nicht zu fliegen, weil sich der Boden noch nicht genug erwärmt hat und damit auch die Thermik fehlt. Das macht die Fliegerei für einen Segler wie den Storch wirklich anstrengend.

Nördlich von Lyon hat Zozu den bequemsten Weg gewählt, ist einfach westlich an den Alpen und dem Schweizer Jura vorbeigeflogen, um dann rechtzeitig nach Osten Richtung Basel zu schwenken. Dort machte sie im Zoo Rast, bevor sie das letzte Stück den Hochrhein entlang zum Bodensee flog. Merkwürdigerweise schaute sie sich zunächst in Stockach um, bevor sie am vergangenen Samstag gegen 17 Uhr in Böhringen eintraf: Zunächst landete sie in einer Wiese am Ortsrand, bevor sie zu „ihrem“ Horst flog. Hier zog sie im vergangenen Frühjahr zwei Junge groß – die aber leider starben, bevor sie flügge wurden.

Das Techtelmechtel mit AR220 hielt nicht, was es versprach

Am Horst allerdings erwartete Zozu eine unliebsame Überraschung. Dort hatte sich nämlich ein anderer Storch breitgemacht, wie Wolfgang Schäfle und Hanspeter Wickert beobachtet hatten. Die beiden Vogelliebhaber aus Böhringen kümmern sich seit Jahren um die dort lebenden Störche und führen Buch über alles, was so vor sich geht. Da der vermeintlich neue Besitzer von Zozus Horst beringt war, ließ sich seine Identität mit dem Handwerkszeug der Vogelkundler, dem Spektiv, problemlos feststellen: Die Nummer AR220 gehört zu einem Storchenmännchen, das 2013 im oberschwäbischen Ingoldingen geboren wurde. Im Mai 2015 hatte die gleichaltrige Zozu ordentlich mit ihm in Böhringen geflirtet. Doch das Techtelmechtel hielt offensichtlich nicht, was es versprach: Im darauffolgenden Sommer bändelte Zozu mit einem anderen Storch an, der Nummer AJ516. Mit diesem Partner betreute sie auch die beiden Küken, bis diese den damaligen kalten und nassen Witterungsbedingungen zum Opfer fielen.

Nun aber saß in der vergangenen Woche AR220 auf dem vormals gemeinsamen Nest von Zozu und AJ516. Und AR220 hatte sich sogar schon eine Storchendame geangelt und heftig mit ihre geschnäbelt. Mithin lag Stress in der Luft. Was am vergangenen Wochenende genau passierte, ist nicht dokumentiert. Fest steht aber, dass nun Zozu und ihr letztjähriger Partner AJ516 „ihren“ Horst eroberten, den sie nun Tag und Nacht bewachen.

Während wir darauf warten, ob Zozu ihren Partner bei der Horstwache ablöst, berichtet Wolfgang Schäfle, dass derzeit in Böhringen 29 Nester mit Störchen besetzt sind – „und am 30. wird gerade gearbeitet“. Seit 1983 gibt es die nach wie vor bedrohten schwarz-weißen Vögel wieder in Böhringen. Und es ist vor allem auch dem „Storchenvater“ Schäfle zu verdanken, dass es seither immer mehr geworden sind. Unermüdlich kümmert er sich mit Gleichgesinnten darum, dass es den Vögeln in Böhringen gut geht. Und er wirbt dafür, dass die Störche von den Bewohnern akzeptiert werden – was angesichts der großflächigen weißen Kotflecken auf manchen Dächern und in Vorgärten nicht immer einfach sein dürfte.

Die meisten Tiere überleben das erste Jahr nicht

Da Zozu noch auf der Wiese herumstochert, machen wir eine kleine Rundtour zu den Horsten in der Nachbarschaft. Plötzlich bückt sich Hanspeter Wickert und hebt einen Vogelring auf: AR735 steht darauf. Was ist da passiert? Wolfgang Schäfle schaut in seine Unterlagen nach. Lange muss er nicht suchen: „AR735 war 2015 als einer von drei Nestlingen beringt worden“, berichtet er – und zwar in dem Horst, in dessen Nähe der Ring lag. „Eines der Jungen war plötzlich verschwunden – wir hatten keine Erklärung dafür“, sagt Schäfle. Nun besteht Gewissheit: Das Storchenkind ist damals nicht einmal flügge geworden. Geblieben ist nur der Ring.

Das ist leider kein Einzelschicksal. „Etwa 60 Prozent der Störche überleben das erste Jahr nicht“, sagt Wolfgang Fiedler. Und auch danach bleibt das Leben gefährlich. Die Ursachen sind vielfältig. Besonderes häufig finden die Tiere an Strommasten den Tod. Auch auf den als Nahrungsquelle beliebten Müllkippen lauern Gefahren, weil sich immer wieder Vögel vergiften. Und dann ist da auch noch der Mensch: Vor allem in Afrika werden nach wie vor Störche gegessen. Auch in Südeuropa kommt es wohl immer wieder vor, dass die Vögel von Jägern abgeschossen werden. Hinzu kommen die natürlichen Gefahren: Manche sterben bei schlechtem Wetter beim Flug übers Mittelmeer, wieder andere fallen Beutegreifern zum Opfer.

Zozu hat es geschafft zu überleben. Ein echtes Kunststück angesichts der Tatsache, dass von den 13 Störchen, die 2013 besendert wurden, nur noch zwei Tiere leben. Aber vielleicht ist das nicht nur Glück, schließlich scheint Zozu recht umsichtig und auch zielstrebig zu sein: Nachdem sie das erste Jahr in Afrika und Spanien zugebracht hatte, flog sie bereits 2015 wieder nach Böhringen, um sich dort nach einem potenziellen Nistplatz umzusehen.

Ziegentom wurde im Tschad vergiftet

Zurück im Institut liest Wolfgang Fiedler Zozus Senderdaten aus dem Empfänger. „Nun haben wir insgesamt 249 414 Koordinaten von ihr.“ Er freut sich, denn nun lässt sich auch der Flug der letzten Tage genau rekonstruieren. Die bisherigen Daten müssen an der einen oder anderen Stelle vervollständigt werden. So ist Zozu an der spanisch-französischen Grenze keine größere Strecke über das Mittelmeer geflogen, wie die damals per Mobilfunk empfangenen Daten nahelegen. Vielmehr folgte sie, wie es sich für einen Storch gehört, über Land der Küstenlinie – der Thermik wegen.

Von welchem Storch ist Fiedler am meisten beeindruckt? Die Antwort kommt prompt: „Von Ziegentom, das war der verrückteste.“ Geboren wurde er 2014 in Bayern, und zwar an einer für Störche wichtigen Grenze: Hier scheiden sich die Ost- von den Westziehern. Dabei kann es sogar bei Geschwistern vorkommen, dass ein Vogel über die Ostroute via Israel nach Afrika zieht und der andere über die Westroute via Gibraltar. „Ziegentom ist im ersten Jahr die Westroute nach Spanien geflogen und 2016 dann über die Ostroute nach Afrika“, berichtet Wolfgang Fiedler.

Dort ist er vom Tschad aus über die Sahara wieder nach Norden geflogen und von Tunesien an der Mittelmeerküste entlang nach Algerien. Nach einem längeren Aufenthalt ging es über die Sahara wieder Richtung Süden bis nach Tansania. Dort allerdings nahm die lange Reise kürzlich ein tragisches Ende: „Ziegentom ist offensichtlich vergiftet worden“, berichtet Fiedler. Das komme in diesem Land wohl gar nicht so selten vor: Die vergifteten Tiere werden anschließend verzehrt.