Ersin Ugursal erklärt türkischen Migranten das deutsche Wahlsystem. Foto: Nina Ayerle

Der türkische Bezirksbeirat Ersin Ugursal will seine Landsleute zur Teilnahmeam politischen Leben in Deutschland ermutigen

Stöckach - Das deutsche Wahlsystem ist manchmal kompliziert. Für Menschen, die nicht richtig deutsch können, ist es womöglich noch viel komplizierter. Ersin Ugursal ist stellvertretendes Mitglied im Bezirksbeirat Mitte. Er hat sich vorgenommen, seinen türkischen Landsleuten das deutsche Wahlrecht zu vermitteln. „Ich möchte vor allem Wissensdefizite ausgleichen“, sagt Ugursal, der auch im Stadtseniorenrat für Migranten zuständig ist. Seit Jahren ist er in Stuttgart politisch aktiv und bemüht sich darum, die Distanz zwischen Migranten und Deutschen zu verringern.

Beim türkischen Nachmittagstreff des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) im Henry-Dunant-Haus im Stadtteil Ost sprach der 75-Jährige deshalb am vergangenen Dienstag über „Die politische Ordnung der Bundes- und Landesebene, die Bundestagswahl und ihre Spitzenkandidaten“. Im Dunant-Haus treffen sich einmal im Monat türkische Migranten aus dem Stuttgarter Osten. Diese Gruppe hatte sich Ugursal ausgesucht, weil dort vornehmlich Menschen sind, die zur ersten und zweiten Generation an Einwanderern gehören. Sie sprechen kaum Deutsch und haben sich wenig mit der deutschen politischen Kultur beschäftigt.

Ugursal lebt seit 57 Jahren in Deutschland, immer in Stuttgart. „Ich bin ein echter Stuttgarter.“ Für sein Architektur-Studium hat es ihn ins „Ländle“, wie er gerne sagt, verschlagen, und er ist geblieben. Er selbst wollte immer gern genauso deutsch sein wie alle anderen in diesem Land auch. Das ist ihm inzwischen gelungen. Er kann schwäbisch und kennt jede Menge deutsche Sprichwörter. „Ich bin mehr Stuttgarter als viele gebürtige Deutsche, die genauso lange hier leben wie ich“, sagt er.

„Wir Migranten haben eine Bringschuld gegenüber der deutschen Gesellschaft

Über viele seiner Landsleute kann er das nicht sagen. „Viele interessieren sich nicht für Politik“, sagt Ugursal. Schon jetzt machen Migranten aber einen großen Teil der Bevölkerung aus. Und diese müssen in Zukunft Verantwortung übernehmen. Ugursal: „Wir Migranten haben eine Bringschuld gegenüber der deutschen Gesellschaft.“

Rund 40 türkischstämmige Migranten sind zu seinem Vortrag gekommen. Ihnen vermittelt Ugursal, wie das deutsche politische System funktioniert und wie in Deutschland gewählt wird. Denn wie Ugursal selbst haben viele von ihnen längst die deutsche Staatsbürgerschaft und sind wahlberechtigt. Zuerst spricht er über die föderalistische Struktur Deutschlands mit den 16 Bundesländern; dann kommt er auf den Bundestag und Bundesrat zu sprechen und erklärt wie in Deutschland ein neues Gesetz entsteht. Das alles macht er auf Türkisch, damit ihn jeder versteht.

Auch Nurcan Ermir wusste vieles bisher nicht, was sie im Vortrag ihres Landsmannes gehört hat. Sie lebt seit 40 Jahren in Deutschland. „Ich darf auch wählen“, sagt die gebürtige Türkin. Jetzt hat sie gelernt, wie Wahlen in Deutschland funktionieren und wann sie wen wählen darf.

„Es geht hier nicht nur um das Zusammensitzen und Kaffee trinken“, betont Ursel Müller-Eckstein. Sie leitet seit zwölf Jahren ehrenamtlich den Treff. Einmal im Monat organisiert sie ihn unter der Schirmherrschaft des DRK im Henry-Dunant-Haus, Reitzensteinstraße 9. Zu jeder Veranstaltung ist ein Referent eingeladen. Die Themen reichen von Gesundheit über Rente bis hin zur politischen Information. Unterstützung bekommt sie von Kadriye Aslan, die die Gruppe von türkischer Seite aus leitet und betreut.