Cordula Güdemann würde am liebsten in ihrem Atelier wohnen. Aber dafür braucht ihre Kunst dann doch zu viel Raum. Foto: Frank Eppler

Die ehemaligen Produktionsgebäude in dem Quartier eignen sich auch für bezahlbare Ateliers.

S-Ost - Viele Stuttgarter verbinden manche Stadtteile mit bestimmten Bevölkerungsschichten oder Berufsgruppen, egal, ob das wirklich so ist oder nicht. Am Killesberg oder auf der Gänsheide wohnen die Reichen, die Kreativen zieht es in die Lofts im Süden und die tieferen Lagen des Ostens sind den Arbeitern vorbehalten. Zum Stadtteil Stöckach fällt vielen wenig ein. Und den Stöckach und die Kunst bringt kaum jemand zusammen.

Dabei bietet der Stadtteil so manchem Künstler eine Heimat. Andreas Opiolka ist einer von denen, die am Stöckach Kunst schaffen. Opiolka, Jahrgang 1962, ist Professor für allgemeine künstlerische Ausbildung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste. An vielen Tagen steigt er nach seiner Lehrtätigkeit an der Kunstakademie auf dem Killesberg in die Stadtbahn in Richtung Stöckach. Kaum ist er in der Bahn, „bin ich mental schon im Atelier“.

Dort, in der Rieckestraße 24, sind die Vorhänge immer zugezogen. „Das ist so, weil ich nicht will, dass mir jemand beim Malen zuschaut“, sagt Opiolka. Für ihn ist das Atelier ein Rückzugsort. Wenn er dort ist, will er von allem abgeschottet sein. Deswegen empfängt er beispielsweise auch keine Gäste. Ein Ateliergespräch wie das im Begleitprogramm zur noch bis 10. Februar laufenden Ausstellung „Mythos Atelier“ in der Staatsgalerie ist für ihn eine absolute Ausnahmesituation.

Ein Gebäude mit viel Platz

Als Opiolka vor Jahren zum ersten Mal in dem Raum war, hatten es ihm die Proportionen angetan. Ein Problem gab es allerdings: Es fehlte an Wänden, an die er seine Werke hängen konnte. Also ließ er neue einziehen. Das Atelier verändert sich ständig, „weil immer mehr dazu kommt“. Bücher, Materialien, Musikkassetten. Opiolka isst und trinkt nicht in seinem Atelier, das macht er beim Vietnamesen in der Neckarstraße. „Aber ich höre fast immer Musik“, und das eben von den eigentlich schon museumsreifen Musikkassetten, von denen er unzählige besitzt.

Cordula Güdemann geht anders mit ihrem Atelier um. Sie ist Professorin für Malerei und Zeichnung an der Kunstakademie, also eine Kollegin von Opiolka. Ihr Atelier ist im selben Haus, eine Etage höher und in einem anderen Gebäudeteil. Die Malerin, Jahrgang 1955, ist seit 15 Jahren in der Rieckestraße und hätte gerne öfter Besuch. Bei ihr sind die Vorhänge offen, sie hat eine Kochecke, in einer Ecke des Raumes steht eine Liege zum Ausruhen. Sie hat schon Freunde in ihrem Atelier bekocht, mit ihnen zusammen Filme angeschaut. Am liebsten hätte sie ein Atelier, in dem sie auch wohnen könnte. Aber dafür reicht der Platz in der Rieckestraße nicht. Die oft großformatigen Gemälde von Güdemann beanspruchen zu viel Raum.

Für beide Künstler ist das Atelier sehr wichtig und sie fühlen sich wohl am Stöckach. Güdemann sagt: „Das ist ein nettes Viertel hier“ – auch wenn die wilde Mischung von Mietern im Haus wie im Quartier manchen etwas seltsam anmuten mag. In der Rieckestraße 24 sendet das Freie Radio, die Adventisten beten, Werbeagenturen sind kreativ und getanzt wird auch, in einer Ballettschule. Dass ein Gebäude so viel Platz bietet, ist in der Industriegeschichte Stuttgart begründet. Das Gebiet entlang der Neckarstraße war einst Standort zahlreicher Produktionsbetriebe. In der Rieckestraße 24 stellte das Pfeiffer-Werk einige Jahre lang gestrickte Knabenanzüge und Mädchenkleider her. Nachzulesen ist das in der Ausstellung über die Textilproduktion im Stuttgarter Osten, die im Muse-O in Gablenberg gezeigt wird. Mit dem Niedergang der Textilindustrie wurden die Gebäude im Stadtteil Stöckach anders genutzt. Und deswegen sind am Stöckach auch noch mehr Ateliers zu finden – wenn man sie denn entdeckt.