Laut und fröhlich: Gute Stimmung im Bierzelt auf dem Cannstatter Wasen. Was sagen die Zuhörer der StN-Podiumsdiskussion "Mittendrin" zum Thema und zur Veranstaltung? Klicken Sie sich durch unsere Umfrage. Foto: dpa

Bei der StN-Podiumsdiskussion "Mittendrin" wurde der Lärm auf dem Wasen heiß diskutiert.

Stuttgart - Die Kapellen und Musikanlagen auf dem Cannstatter Volksfest dröhnen fast dreimal so laut wie zugelassen. Damit gerät das Fest in Gefahr, denn Anwohner könnten gegen den Lärm klagen. Schaustellerpräsident Volker Weber will seine Kollegen zur Räson bringen, notfalls mit "Druck" von der Stadt.

Volker Weber ist 68 Jahre alt und ein alter Hase im Schaustellergeschäft. In diesem Jahr hatte er auf dem Wasen einen Früchtestand aufgeschlagen, dazu hält er eine Beteiligung an einem Autoscooter. Weber startete am Montagabend einen leidenschaftlichen Appell. Bei der Veranstaltung "mittendrin" unserer Zeitung im Stadtarchiv in Bad Cannstatt warnte er vor ungebremstem Festzeltlärm: "Die Aufrüstung auf dem Wasen in Bezug auf Lärm ist nicht mehr tragbar. Wenn sich das nicht ändert, haben wir sehr schlechte Karten", deutete der Präsident des Landesverbands der Schausteller und Marktkaufleute rechtliche Probleme an. Der Verband zählt rund 900 Mitglieder.

Weber erhielt für sein Bekenntnis von den rund 130 Zuhörern in dem historischen Archivgebäude Beifall. "Wir leben gerne hier im Wohngebiet Veielbrunnen", sagte Regine Herdecker, eine von drei Sprecherinnen der Bürgerinitiative am Veielbrunnen. Auch die neuen Einwohner, die auf dem ehemaligen Güterbahnhof-Gelände in mindestens 450 Wohnungen angesiedelt werden sollen, seien willkommen. "Man kann hier wohnen", sagte Herdecker, "aber man hat Probleme mit dem Lärm vom Wasen." Herdecker warnte: "Wir wollen eine gute Koexistenz, aber es gibt ein Limit."

100 Dezibel im Zelt

Das Umweltamt der Stadt hat wegen der Problematik Lärmmessungen veranlasst. Weber spricht von 100 Dezibel im Zelt. Ein Kollege habe diesen Wert in einiger Entfernung ebenfalls gemessen. Bei diesem Wert können Hörschäden eintreten. Er liegt jenseits der in den Verträgen mit den Schaustellern festgeschriebenen maximal 85 Dezibel, die im Arbeitsschutzrecht genannt werden und ab denen Gehörschutz notwendig wird. Je zehn Dezibel werden als Verdoppelung des Lärm empfunden.

Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD) bestätigte die "nichtöffentliche Zahl". Er wolle aber nicht behördlichem Eingreifen das Wort reden. Hahn: "Man muss sich zusammensetzen." Für Vermittlung plädierten unter der Moderation von Stuttgarter-Nachrichten-Lokalchef Jörg Hamann und Redakteur Frank Rothfuß auch der Bezirksvorsteher Thomas Jakob und Paul Woog, Geschäftsführer des Konzertsveranstalters SKS Russ. Ein Gastspiel der australischen Hardrockband AC/DC lasse sich "nicht im Flüstermodus durchführen", warb Woog bei den Anwohnern um Verständnis. Der Wasen müsse als einzige große Veranstaltungsstätte erhalten werden, nur er biete 50.000 bis 60.000 Stehplätze.

Qualität mit Holzbauten möglich

Weil ohne Rückzug auf die festgelegten 85 Dezibel Einschränkungen für das Volksfest wie zum Beispiel eine Verkürzung der Öffnungszeit oder ein Musikverbot ab 22 Uhr drohen könnten, sieht Weber dringenden Handlungsbedarf. "Ohne genügend Druck wird es nicht möglich sein, alle 300 Beschicker auf den festgelegten Wert zu zwingen", befürchtet er Auseinandersetzungen. Offenbar kann sich der Schaustellerpräsident bei den Kollegen selbst nicht genügend Gehör verschaffen. "Die Münchener halten an der Rekorderanlage 85 Dezibel ein", berichtete Matthias Hahn von ähnlichen Problemen beim Oktoberfest, die mit technischen Einrichtungen wie automatisch arbeitenden Begrenzern gelöst worden seien. "Dass nach 22 Uhr noch zugelegt wird, ist nicht einzusehen, die Anwohner sind per Gesetz geschützt", sagte Hahn.

Die Lärmprobleme will Hahn für die mindestens 450 neuen Wohnungen im Gebiet auch durch Büro- und Hotelneubauten entlang der Mercedesstraße begrenzen. Sie sollen als Schallschutzwand dienen. Die bisherige Tankstelle, die den Krach wegen ihrer offenen Bauweise ungehindert passieren lässt, soll aufgegeben werden.

Im Neubaugebiet soll es auch von der Stadt geförderten Wohnraum geben. Gute Qualität sei auch mit Holzbauten möglich, für die OB Wolfgang Schuster plädiert. Wer Familien mit Kindern umwerbe, müsse an die Betreuung denken, fordert Kathrin Grix von der Konferenz der Gesamtelternbeiräte der Kindertagesstätten genügend Plätze in Kindergärten und eine verlässliche Schulkindbetreuung. Mit nur 450 Wohnungen könnte aber kaum eine Schule gebaut werden. Hahn plädiert daher für bis zu 600 Einheiten. Thomas Jakob sieht eine andere Lösung. Kinder aus dem Seelberggebiet jenseits der trennenden Bahnlinie, in dem Schulräume knapp seien, könnten die neue Bildungseinrichtung mitnutzen.