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Beim einzigen Deutschlandkonzert seiner Tour stellte Sting am Donnerstag in Baden-Baden sein neues Album vor.

Baden-Baden - Ein Orchester sitzt auf der Bühne. Fast könnte man meinen, man habe sich in der Veranstaltung geirrt - doch dann biegt Sting mit seiner Band um die Ecke. Beim einzigen Deutschlandkonzert seiner Tour stellt er am Donnerstag in Baden-Baden sein neues Programm vor.

Der ehemalige Police-Sänger trägt einen schwarzen Frack mit schwarzer Weste: ein gediegenes Outfit an einem Ort, an dem sonst die Klassikstars auftreten. Schreie und Pfiffe im Publikum - für kurze Zeit kommt Rockkonzertatmosphäre auf. Dann setzt sich Sting auf einen Hocker genau in der Bühnenmitte und lässt die erste der melancholischen Melodien an diesem Abend kreisen: "The Snow It Melts The Soonest". Der englische Folksong ist wie fast alle anderen Lieder an diesem Abend auf Stings neuer CD "If On A Winter's Night" zu finden. Live präsentiert er das Programm nur viermal weltweit - das Konzert in Baden-Baden ist sein einziges in Deutschland.

Der Winter ist für den Sänger eine Zeit der Kälte und des Innehaltens, aber auch ein Ort der Familie und des Geschichtenerzählens am warmen Kamin. In seiner Heimatstadt Newcastle, sagt er, hat er sich als Kind immer gefreut, wenn der Schnee die schmutzigen Industriegebäude in ein weißes Kleid hüllte. Auf dem CD-Cover stapft Sting mit seinem Hund durch einen verschneiten Wald in der Toskana, wo er seit Jahren auf einem Weingut lebt. Hier traf man sich im Februar 2009 bei Kerzenlicht zu den ersten Proben.

Auch der Auftritt in Baden-Baden hat diese Intimität. Mucksmäuschenstill ist es im Saal, wenn sein langjähriger musikalischer Wegbegleiter Dominic Miller an der Gitarre ein Intro spielt oder Sting das Weihnachtslied "Cherry Tree Carol" ganz ohne Begleitung singt. Mehr unplugged geht nicht. Sting hat sich verändert - und das nicht nur wegen seines buschigen Seebärenbarts, den er seit seiner Rolle in Steve Nieves Oper "Welcome To The Voice" (2008) trägt und der ihn zehn Jahre älter erscheinen lässt. Die 58 sieht man ihm trotzdem nicht an.

Aber auch seine Stimme hat sich verändert. Die Gesangsstunden, die er für sein John-Dowland-Album an der Basler Schola Cantorum genommen hatte, haben ihre Spuren hinterlassen. Er besitzt nicht mehr nur den einen Reibeisenton, sondern er hat gerade in der Tiefe an zusätzlichen Farben gewonnen. Natürlich prägt sein raues Timbre jeden Ton, natürlich fehlt dieser Stimme der Kern. Aber Sting bietet mehr als kultivierte Heiserkeit. In Baden-Baden braucht er einige Minuten, bis die Intonation sitzt. Dann bewältigt er selbst chromatische Linien und heikle Sprünge in tadelloser Linienführung.

Der Abend hat einen ruhigen Puls. Nur bei "Soul Cake" bringt die ausgezeichnete Band im Vordergrund etwas Groove auf die Bühne, wenn die beiden Fiddler Kathryn und Peter Tickell das Geschehen vorantreiben und der präsente Backgroundchor sowie der vierköpfige Blechbläsersatz zusätzliche Energie beisteuern. Auch in der Mitte des Programms beim "Team-Spirit"-Medley kommen Band und Publikum gleichermaßen in Schwung. Dann aber ist wieder Kuscheln angesagt.

Bei "There Is No Rose Of Such Virtue" begleitet sich Sting selbst auf der Laute, "Christmas At Sea" bleibt trotz dreier Percussionisten in ruhigen Gewässern. Selbst Franz Schuberts "Leiermann" aus der "Winterreise", der als "Hurdy Gurdy Man" übersetzt wird, kann in Stings schlichter Interpretation (mit Julian Sutton am Knopfakkordeon) überzeugen, Henry Purcells "Cold Song" und das mit einer fallenden Halbtonfolge beginnende "Now Winter Comes Slowly" (mit Daniel Hope als Special Guest an der Violine) können berühren. Auch Henry Purcell schrieb die Lieder seiner Semi-Operas für Schauspieler.

Irgendwann fragt man sich bei aller Begeisterung dennoch, wo Sting seinen Stachel gelassen hat. Besonders, wenn das absolut verzichtbare Streichorchester die wenigen Kanten glättet, die das Programm noch bietet, dann sehnt man sich doch nach ein bisschen weniger Weichspüler. Zum Tiefpunkt diesbezüglich wird "Es ist ein Ros' entsprungen" ("Lo, How A Rose E'er Blooming"): mit gezupften Streichertönen, Akkordeonsolo und Background-Gesäusel. Stings wenige eigene Songs werden dagegen zu Glanzlichtern. "The Hounds of Winter", das er bereits 1996 auf dem Album "Mercury Falling" veröffentlichte, wird mit scharfen Dudelsackklängen gewürzt und viel länger und freier gespielt als auf der Winter-CD, bei "Lullaby For An Anxious Child" ist Gänsehaut garantiert.

So geht man erfüllt von warmen Winterklängen in die kalte Baden-Badener Nachtluft - und muss doch einer unbekannten Badnerin Recht geben, die im Treppenhaus zu ihrer Begleitung sagt: "Ein bissle mehr Pepp hätt's schon haben können."