Vor vier Jahren war er Stimmenkönig in Heilbronn, dann wurde er Minister. Foto: dpa

Die Kommunalwahl bringt neue Stimmenkönige hervor. Andere werden vermisst.

Baden-Württemberg - Die Menschen lieben den Verrat, aber nicht den Verräter. Die Geschichte Karsten Amanns lehrt das Gegenteil. Einst war er in Reutlingen ein populärer CDU-Stadtrat. Doch nach fast 20 Jahren hatte er genug von den Konservativen. Vor einem halben Jahr wechselte er deshalb zu den Grünen und wurde mit offenen Armen empfangen. Jetzt kandidierte er auf Listenplatz vier und erhielt 27 844 Stimmen, die höchste Stimmenzahl aller Bewerber. „Ich bin dafür sehr dankbar“, sagt der Rechtsanwalt, „das ist ein ziemliches Paket an Verantwortung.“

Auch die Karriere von Mohamed Badawi ist erstaunlich. Bis zum Abitur lebte er im Sudan, dann studierte er in Frankreich, kam der Liebe wegen nach Konstanz. Dort verdiente er sein Geld zunächst als Putzkraft, heute ist er promovierter Forscher an der Uni, Fachgebiet Arabische Sprachen. Bei seiner ersten Kandidatur für den Konstanzer Gemeinderat ist er auf der Liste der Grünen nun auf Anhieb zum Stimmenkönig gewählt worden. Mehr als 1500 Stimmen trennen ihn von der Zweitplatzierten. „Ich bin total überwältigt“, sagte Badawi. Der 53-Jährige ist verheiratet, hat zwei Kinder und ist nicht nur als Unidozent, sondern auch als Musiker und Komponist bekannt. Zudem ist er seit Jahren engagiert als Ansprechpartner für diejenigen, die sich nicht so gut selbst ausdrücken können, wie er sagt.

Blick in die Pfalz: Hundert Jahre und immer noch aktiv

Dieses Problem hat Lisel Heise nicht. Die Hundertjährige, die früher als Lehrerin in Künzelsau gearbeitet hat, ist nicht auf den Mund gefallen – und zieht in ihrer jetzigen Heimat Kirchheimbolanden in der Pfalz in den Gemeinderat ein. Ihr Ziel: die Wiedereröffnung des vor acht Jahren aus Kostengründen geschlossenen Freibads. Auf dem letzten Listenplatz der Gruppierung „Wir für Kibo“ trat sie an. Als Stimmenkönigin ihrer Liste zieht sie ein in den Gemeinderat. Damit bewahrheitete sich, was sie vor der Wahl gesagt hat: „Ich bin so bekannt, ich brauche keinen Wahlkampf zu machen.“

Der Heilbronner CDU ist ihr ehemaliger Stimmenkönig schon vor drei Jahren abhandengekommen. Und das hat sich durchaus bemerkbar gemacht bei der Gemeinderatswahl in der 120 000 Einwohner zählenden Stadt. Thomas Strobl, der 2014 mit Abstand die meisten Stimmen einsammelte, hatte als CDU-Stadtrat aufgeben müssen, als er als Innenminister ins Kabinett Kretschmann wechselte. Wäre er nur bei seinen Leisten geblieben: In der Landespolitik läuft es nicht. Und die Heilbronner CDU ist am Sonntag kräftig abgeschmiert. Sie fiel auf 22,4 Prozent zurück, 8,3 Punkte weniger als 2014. Zwischendurch musste sie bangen, ob die Grünen ihr auch noch den Status als stärkste Fraktion abjagen würden. Die landeten am Ende bei 20,3 Prozent, 7,7 Punkte mehr als 2014 – und vor der SPD, die mit 18,7 Prozent (-8,3 Punkte) nur noch drittgrößte Gruppe ist im Rat.

„Blut geleckt“

„Inhalte überwinden“ oder „Für unsere Stadt reicht’s“: Mit diesen Botschaften hat die Satirecombo Die Partei bei den Gemeinderatswahlen im Land einen Achtungserfolg erzielt. Es gebe zwar eine Parteienverdrossenheit, aber gleichzeitig wachse das politische Interesse, glaubt Max Braun. Davon profitiere Die Partei.

Der 25-Jährige mit der Glatze, der sich als „Schönwetterstudent“ bezeichnet und mit dem Slogan „Aus Protest Braun wählen“ für sich warb, ist das Gesicht des Aufschwungs auf kommunaler Ebene. Seit fünf Jahren sitzt er im Karlsruher Gemeinderat und nimmt seinen Job als Feierabendkommunalpolitiker durchaus ernst. „Ich kam da unbedarft rein, habe aber Blut geleckt“, gibt er zu. Nun kann er mit Verstärkung im Karlsruher Rat rechnen. Mit knapp fünf Prozent winkt ein zweiter Sitz. „Eine grün-linke Mehrheit wäre mir recht“, sagt Braun. Ein Koalitionsangebot? „Wir nehmen jeden, der sich uns als Steigbügelhalter andient.“