Dass Christoph Marthaler im Musical-Theater Basel inszeniert hat, erkennt man sofort.

Dass Christoph Marthaler im Musical-Theater Basel inszeniert hat, erkennt man sofort. Schließlich weiß man um die autistische Einsamkeit seiner leicht angestaubten Figuren, um die Trostlosigkeit ihrer Welt, um das Klaustrophobische der Marthaler-Szene mit ihren zwanghaften Wiederholungen.

Von Susanne Benda

Männer mit Hornbrillen und Trenchcoat. Frauen mit Handtäschchen und geblümten Kleidern. Einige wohnen oben in Hotelzimmern, liegen allein in Doppelbetten, über denen Ventilatoren sirren. Andere irren unten durch den Keller des aufgeschnittenen Bühnenhauses, sitzen stumm am Tisch, finden sich zu Paaren, tanzen still. Ewig dieses Warten, Warten, Warten. Warum? Worauf?

In der Musik zu seiner neuen Oper "Wüstenbuch", die am Montag ihre Uraufführung erlebte, verteidigt auch Beat Furrer das Kreisen als Strukturprinzip. Auch der Stil des 55-jährigen Österreichers mit Schweizer Wurzeln ist bekannt: seine kunstvollen, leisen, zerbrechlichen Klangblöcke, seine Lust an ungewöhnlichen klangfarblichen Kombinationen. Auch seine Musik wartet. Vielleicht auf eine Geschichte, in diesem Stück ganz ausdrücklich auf den Gesang, auf jeden Fall wartet sie aber auch immer wieder nur auf sich selbst.

In Basel, scheint es, haben sich zwei gefunden. Bei "Wüstenbuch" dient das Musical-Theater als Wartesaal zum großen Musiktheater-Glück, und da sitzen die beiden und lauschen und pflegen ihre ganz eigene Poesie der leisen Zwischentöne. Im Orchester, dem Neue-Musik-Spezialistenpool Klangforum Wien, das mit auf der Bühne sitzt und sich in seiner Kleidung der dort herrschenden Hornbrillen-Ästhetik prima angepasst hat, lässt es der Komponist am Pult glitzern, sirren und flirren. Und auf der Bühne, die Duri Bischoff entwarf, suchen 16 Menschen - Schauspieler und Sänger - erst nach der Sprache, dann nach dem Gesang.

Sie finden beides - man hört, gesprochen und gesungen, Text-Versatzstücke aus Ingeborg Bachmanns titelgebendem "Wüstenbuch"-Fragment, in dem die Schriftstellerin 1964 Szenen einer Ägyptenreise zusammenstellte, man hört Stellen aus einem Szenario von Händl Klaus, das dieser für Beat Furrer entwarf, und man hört Poetisches in lateinischer Sprache, vor allem aber aus einem altägyptischen Papyrus, der vom Gespräch eines Mannes mit seiner Seele berichtet. Dabei dient die Wüste als Metapher für Fremdes, Unbewohntes, Unwirtliches, für einen schicksalsträchtigen, existenzbedrohenden Raum der Grenzerfahrungen zwischen Dies- und Jenseits - und aus dem Fluchtpunkt des Todes wird ein weiter Raum.

Oasen finden sich auf der Bühne nicht - dort stehen nur vertrocknete Topfpflanzen auf dem Boden. Oasen finden sich aber in der Musik: Beat Furrers Klänge, die immer in Farben und Melodien der Textsprache hineingreifen oder aus ihr entstehen, wirken ein wenig wie jene wechselnd beleuchteten Tropfsteinhöhlen, die man als Mittelmeer-Tourist hier und dort zu sehen bekommt. So wie man dort, wenn man sich einlässt, nur dasteht und staunt, kann man auch das feine, beziehungsreich verrätselte Kunstgebilde bewundern, das Furrer und Marthaler im gemeinsamen Bemühen um eine originelle (musik-)theatralische Form auf die Bühne stellten. Man muss sich nur fallen lassen in das Geflecht der vokal gedachten Orchester- und der oft betont instrumental eingesetzten Vokalklänge, in dem immer wieder Altbekanntes - Motetten, Oratorisches - aufscheinen, und man muss nur wach verfolgen, wie die szenische Polyfonie die Ideen der Musik aufnimmt und weiterspinnt. Dann tut sich eine weite Welt auf.

Die braucht Zeit, sie kostet Energie, und weil das so ist, dürfen zwischendurch, bei einer wundersam von einem einsamen Kontrabass begleiteten Sopranarie, die Musiker ein Schläfchen halten. Diejenigen im Publikum, deren Geist sich an Furrers und Marthalers stillem Gleißen müde denkt, werden spätestens in dem Moment wach, in dem ein Mann - der Hotelbesitzer? - mit den Worten "Morgen kommt Ingeborg!" entschieden hinter einer Tür hervortritt. Ja, morgen.

"Wüstenbuch" wird von Basel zum Festival MaerzMusik an die Schaubühne Berlin übernommen. Dort ist es am 27. und 28. 3. zu sehen. Karten: 0 30 / 89 00 23.