Laut Muttermilchforschern sind gestillte Säuglinge wesentlich weniger anfällig gegen eine Reihe von Infektionskrankheiten wie Durchfall oder Mittelohrentzündungen. Foto: dpa

Studien des Wissenschaftlers Lars Bode zeigen: Die Muttermilch schützt vor Darmkrankheiten.

Stuttgart - Eine der eigentlich schönsten Wortverwandtschaften bietet der Begriff „stillen“: Das Baby, das gefüttert wird, hört auf zu schreien, sobald es gestillt ist. Doch diese Stille wird nicht selten durch andere Misstöne gestört: Nämlich um die wiederkehrende Diskussion, ob Mütter ihrem Kind überhaupt die Brust geben sollten – und wenn ja, wie lange.

Tatsächlich empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als auch die Nationale Stillkommission, das für die Mehrzahl der Säuglinge im ersten Lebenshalbjahr Muttermilch die beste Ernährung ist. Wie danach gefüttert wird – ob Brust oder Flasche – ,bleibt der Mutter selbst überlassen.

Für so manche bietet diese Richtlinie offenbar zu viel Entscheidungsfreiheit: So beklagte schon 2010 die französische Philosophin und Feministin Elisabeth Badinter, dass Stillen die Frauen an die Kinder bindet und sie damit für die Berufstätigkeit oder zur Ehefrau, ungeeignet macht. Sätze, die dem brasilianischen Top-Model Gisele Bündchen gar nicht gefallen dürften: Forderte die damals frischgebackene Mutter ein Gesetz, das Frauen verpflichten sollte, ihre Babys sechs Monate lang zu stillen.

„Gestillte Säuglinge weniger anfällig für Durchfall oder Mittelohrentzündungen“

Mit der jetzigen Mai-Ausgabe des amerikanischen „Time“-Magazins erreicht die Debatte ums Stillen einen weiteren Höhepunkt: Auf dem Titelbild posiert eine Mutter, an deren Brust ein Dreijähriger nuckelt. Die Botschaft des Artikels: „Breast is best“ – was so viel bedeutet, wie „Die Brust ist für Kinder immer noch das Beste“.

Geht es nach den Muttermilchforschern, werden in dem Streit um die beste Kinderbetreuung nach der Geburt die Fakten zu gern der Weltanschauung geopfert. „Ein Fehler“, sagt der Ernährungswissenschaftler Lars Bode. Vielmehr sollte darüber gesprochen werden, warum der Stillnutzen für Kinder denn so groß ist. Denn was Muttermilch alles bewirken kann, so Bode, ist der Wissenschaft noch längst nicht umfassend bekannt.

Seit Jahren forscht er an der University of California in San Diego daran, die Bestandteile der Muttermilch zu entschlüsseln. Dass die Muttermilch nicht nur dazu dient, den Säugling zu ernähren, sondern auch gesundheitliche Vorteile für Mutter und Kind hat, hält er für unstrittig: „Gestillte Säuglinge sind weniger anfällig für Infektionskrankheiten wie Durchfall oder Mittelohrentzündungen.“

Es sind die unzähligen Molekülklassen, die die Muttermilch zu einer Art menschlichem Zaubertrank werden lassen: Fette, Proteine und Laktose sorgen für die Sättigung, Vitamine, Wachstumsfaktoren und Abwehrstoffe lassen den Säugling gedeihen und schützen ihn vor Krankheiten. Selbst Stammzellen wurden in der Muttermilch entdeckt. Ob diese allerdings gesundheitliche Vorteile für den Säugling haben, kann noch kein Muttermilch-Forscher sagen.

Die Zuckermoleküle in der Muttermilch sind einzigartig

Bode selbst forscht an einem Bestandteil, den Säuglinge kaum wahrnehmen dürften – obwohl sie hochkonzentriert in der Muttermilch vorhanden sind: Etwa 150 verschiedene Mehrfachzucker, sogenannte Oligosaccharide, die im Vergleich zur Laktose nur leicht süßlich schmecken. Sie werden in der Brustdrüse aus fünf verschiedenen Bausteinen zusammengesetzt.

Einmal geschluckt, rauschen die Zuckerketten durch den Darm des Säuglings und landen nahezu unverändert in der Windel. „Nur einige Darmbakterien können die Zucker verarbeiten, was diesen einen Vorteil gegenüber anderen, unerwünschten Bakterien verleiht“, sagt Bode.

Auf diese Weise werden schädliche Bakterien in Schach gehalten – beispielsweise die Erreger der nekrotisierenden Darmerkrankung. Diese tritt etwa bei jedem 20. Frühgeborenen auf und kann bei einem Viertel tödlich verlaufen. „Gestillte Säuglinge sind wesentlich weniger betroffen“, sagt Bode, der dafür ein bestimmtes Oligosaccharid verantwortlich macht. Ebenfalls diskutiert wird die Möglichkeit, dass die mütterlichen Zucker als Rohstofflieferanten bei der Hirnentwicklung dienen.

Die Zuckermoleküle in der Muttermilch sind einzigartig. Kuhmilch und die darauf basierende Flaschenmilch enthalten lediglich Spuren der Oligosaccharide.

Auch künstlich lassen sich die Zuckerketten nur schwer herstellen

Und auch künstlich lassen sich die Zuckerketten nur schwer herstellen. Inzwischen fügen einige Hersteller von Flaschenmilch dieser Oligosaccharide aus Pflanzen bei, wie aus Chicorée-Gemüse. Oder sie gewinnen sie mit Hilfe bakterieller Fermentation. Diese sind aber nicht mit den humanen Zuckermolekülen zu vergleichen und haben laut Bode auch nicht die gleiche gesundheitsfördernde Wirkung.

Humane Milch-Oligosaccharide auf künstlichem Wege herzustellen, wird nach Meinung von Milchforschern erst gelingen, wenn bekannt wird, wie sie in der Brust überhaupt gebildet werden. „Das ist uns Wissenschaftlern noch ein Rätsel“, sagt Bode. Doch selbst wenn dieses irgendwann gelöst wird, rät er Müttern, Kinder in den ersten Lebensmonaten in jeden Fall zu stillen – sofern es möglich ist. „Damit bietet man dem Kind die beste Ernährung.“